Eine Vision für Anbetung

„Anbetung ist ehrfürchtiges Staunen.“ (Unbekannt)

Anbetung ist natürlich mehr als Musik. Aber in diesem Artikel beziehe ich mich auf die Lieder, die in einem Gottesdienst zu Gott und für Gott gesungen werden. Es ist möglich, diese Zeit über- oder unter zu bewerten. Manche Christen erhoffen sich von dieser Zeit eine Abkürzung zur persönlichen Heiligkeit. Für andere hat das ‚Lieder Singen‘ zwar einen traditionellen Platz in jedem Gottesdienst, ist aber überhaupt nicht mit ihrem Alltag verbunden und kommt nicht von Herzen.

Christen haben schon immer gesungen. Aber was macht eine ‚gute‘ Anbetungszeit aus? Worum sollte es dabei gehen?

Himmel trifft Erde

In der Anbetung geht es primär um Gott, dann um die gläubigen Menschen, die zu ihm singen und als drittes auch um die nicht gläubigen Beobachter und Zuhörer. Alle drei Aspekte, und ihre Reihenfolge, sind wichtig.

  1. Gott ist das Zentrum der Anbetung.

Und als Salomo zu Ende gebetet hatte, da fuhr das Feuer vom Himmel herab und verzehrte das Brandopfer und die Schlachtopfer. Und die Herrlichkeit des HERRN erfüllte das Haus. Und die Priester konnten nicht in das Haus des HERRN hineingehen, denn die Herrlichkeit des HERRN erfüllte das Haus des HERRN.“ (2. Chronik 7,1-2)

Christen singen zur Anbetung Gottes. Seine Gegenwart und sein Charakter werden durch Lieder anerkannt. Weil es um Gott geht, sollte er in den Liedern Priorität haben. Anbetung muss Gott-zentriert sein. Seine ewigen Eigenschaften sind wichtiger als unsere menschlichen, möglichen Reaktionen darauf. Lieder sollen ihn beschreiben, und dabei durch theologische Tiefe, Bilder und Symbole den Verstand und die Vorstellungskraft ansprechen. Intelligent und transzendent sein. Eine Anbetungszeit, in der wir nichts über Gott gelernt haben, und in der wir nicht inspiriert wurden, uns ihn so vorzustellen, wie er tatsächlich ist, ist oberflächlich.

Tendenziell sind alte Kirchenlieder inhaltlich wesentlich gehaltvoller (obwohl in den letzten Jahren einige fantastische Lieder geschrieben wurden!). Moderner Worship hat leider eher Hit-Qualitäten, schafft aber kein Erbe für zukünftige Generationen von Anbetern. Passend zu unserer westlichen Konsumgesellschaft, haben viele Lieder einen eher schnelllebigen Charakter. Um das zu ändern, müssen Anbetungsleiter alles daran geben, gute Laientheologen zu sein, die nicht nur mit all ihrem Verstand, sondern auch mit all ihrer Vorstellungskraft versuchen, Gott zu erfassen. Sie sollen wie ein Schatzmeister sein, der aus der Schatzkammer alte und neue Schätze hervorzaubern kann.

Um Gott musikalisch ins Zentrum zu stellen, braucht es musikalische Qualität und Stilrichtungen, die Gottes Eigenschaften vermitteln: die sanfte Liebe Gottes, seine Eifersucht, seine Erhabenheit, seine Schönheit (Ästhetik), seine Majestät, seinen Zorn, seine Kraft, seine Freude, sein weiches Herz – all das (und mehr!) kann durch Musik ausgedrückt werden. Gute Anbetung strebt dieses Ziel an.

  1. Gottes Gemeinde singt zu ihm

Heavenly fire only resides on an altar made from the ground.“ (Matisyahu)

Gott ist das Zentrum der Anbetung. Aber Gott geht es um den Menschen. Wie sieht die menschliche Seite aus? Für eine echte Begegnung mit Gott muss man genauso kommen wie man ist. Warum? Weil Gott Heuchelei hasst – besonders religiöses Getue, Klischees und falsche Frömmigkeit. Deswegen muss Anbetung ganzheitlich und authentisch sein. Im Liederbuch der Bibel, den Psalmen, kommt genau das zum Ausdruck. Die Psalmen sind in gewöhnlicher Sprache verfasst. Manche sind poetisch, künstlerisch, romantisch. Aber nie kompliziert oder theoretisch. Sie sind voller Emotionen, aber ohne seichte Sentimentalität. In ihnen kommen alle menschlichen Emotionen zum Ausdruck: Freude, Trauer, Enttäuschung, Wut, Fassungslosigkeit und Hoffnung.

In einem Gottesdienst werden – je nach Größe – fast alle dieser Emotionen repräsentiert sein. Als Glaubensfamilie haben wir den Auftrag, nicht nur auf uns zu schauen, sondern auch auf die Anderen. Wir sollen uns mit denen freuen, die fröhlich sind, und mit denen trauern, die traurig sind. Um das auch in der Anbetungszeit umzusetzen, bräuchte es Lieder, in denen inhaltlich und musikalisch die gesamte Bandbreite menschlicher Gefühle und Gedanken Ausdruck finden. Statt dessen sind ein Großteil der Anbetungslieder romantische Liebeslieder, in denen wir unsere stark empfundene Liebe zu Gott beteuern. Aus irgendeinem Grund meinen wir, dass Anbetung immer in diese Richtung gehen muss.

Mein Problem damit ist vor Allem, dass so eine Kluft zwischen Alltagsrealität und dem Gottesdienst geschaffen wird. Gerade Menschen, die Gott ernst nehmen, kämpfen mit Widersprüchen, Verletzungen, Enttäuschungen, sind nicht immer froh und verliebt, sondern auch wütend (auch auf Gott!), oder gleichgültig. Wo sind die Lieder, in denen wir das vor Gott zum Ausdruck bringen – uns vor ihm auskotzen können? Unsere Leben als Nachfolger von Jesus sind keine seichte Liebesschnulze. Warum tun wir mit unseren Liedern dann so als ob? Ich stelle mir vor, dass das für Gott sehr unbefriedigend sein muss. Wir brauchen Lieder, in denen wir singen, was wir wirklich denken und fühlen. Und auch hier wieder Musikrichtungen und musikalische Elemente, die uns helfen, das zu vermitteln, was sich in uns abspielt. So können wir den Höhenunterschied zwischen Anbetungszeit und Alltäglichkeit einebnen. Und die frommen Schuldgefühle, die durch diese Diskrepanz entstehen, können endlich beseitigt werden. Sie haben uns schon lange genug entmutigt.

Authentische Anbetung im Gottesdienst würde uns helfen, den Alltag zu heiligen. Wir singen dann Sonntags als die Menschen, die wir Werktags sind. Direkt nach Paulus‘ Aufforderung „Singt Psalmen, Lobgesänge und von Gottes Geist eingegebene Lieder; singt sie dankbar und aus tiefstem Herzen zur Ehre Gottes.“ schreibt er „Alles, was ihr sagt, und alles, was ihr tut, soll im Namen von Jesus, dem Herrn, geschehen, und dankt dabei Gott, dem Vater, durch ihn.“ (Kolosser 3,16b-17) Beides gehört in einen Atemzug – in das gleiche Lied.

Diese Anbetungsleiter müssten dann pastoral begabt sein. Sie bräuchten den Kontakt zur anbetenden Gemeinde, müssten wissen, was die Menschen bewegt, müssten den Alltag und die Schicksale der Einzelnen kennen.

  1. Wir werden beobachtet…

Heißt es nicht in der Schrift: ›Mein Haus soll ein Haus des Gebetes sein für alle Völker‹?“ (Jesus bei der Reinigung des Vorhofs der Heiden; Markus 11,17)

Die musikalische Anbetung Gottes hat immer auch missionarischen Charakter. Da ist Gott im Mittelpunkt, da sind Menschen, die sich um ihn herum versammeln, eine echte Begegnung zwischen diesem Gott und seinen Menschen. Und dann sind da die Zuschauer. In den prophetischen Visionen alttestamentlicher Propheten vom kommenden Friedensreich des Messias ist das ein Thema, das immer wieder auftaucht: die Nationen werden nach Zion kommen, um dabei zu sein, wie das Volk Gottes anbetet – und um daran Teil zu haben.

In „Worship by the Book“ schreibt Tim Keller:

Israel war dazu berufen, die ungläubigen Nationen mit Gott bekannt zu machen indem sie sein Lob sangen. Der Tempel sollte das Zentrum einer die Welt gewinnenden Anbetung [„world-winning-worship“] sein. Das Volk Gottes betete nicht nur vor dem Herrn, sondern auch vor den Nationen an. Gott sollte vor allen Nationen gepriesen werden. Dazu gehörte, dass die Nationen eingeladen wurden, mitzusingen. (…)

Trotz dieser biblischen Ermahnungen leiten Prediger und andere Leiter einen Gottesdienst normalerweise, als ob keine Nichtchristen anwesend wären. Das führt dann dazu, dass Christen sich gar nicht erst vorstellen können, mal einen nichtchristlichen Freund mitzubringen. (…)

Ein Mangel an Einfachheit (besonders Sentimentalität) oder ein Mangel an Transzendenz (besonders Mittelmäßigkeit) werden Nichtchristen langweilen, verwirren oder kränken. Zielt ein Gottesdienst auf der anderen Seite einzig und allein darauf ab, evangelistisch zu sein, werden die Herzen der Christen nicht mit einbezogen, … Nichtchristen werden so keine Menschen sehen, die durch herrlichen Lobpreis geformt und getragen werden.

Fazit: Zielt der Sonntagsgottesdienst hauptsächlich auf Evangelisation ab, wird er die Gläubigen langweilen. Geht es nur um Erbauung, fehlt den Nichtchristen der Zugang. Richtet er sich aber darauf aus, den Gott, der aus Gnade rettet zu preisen, werden gleichzeitig die ‚Insider‘ etwas lernen und die Außenseiter herausgefordert werden. Gute, gemeinschaftliche Anbetung wird natürlicherweise evangelistisch sein.“

Anbetungszeiten müssen also vor dem Hintergrund geplant werden, dass in einem Gottesdienst eigentlich immer Gläubige und Nichtgläubige anwesend sind – ohne sich dann bei der Planung diese Spannung einseitig aufzulösen. Die Gemeinde Gottes singt in Gegenwart der nicht gläubigen Zuhörer Gottes Lob. Eine gesunde Herausforderung! Die praktischen Konsequenzen deutet Keller bereits an. Wir wollen einladend sein, ohne unsere Identität als anbetendes Gottesvolk zu verlieren. Um diese Brücke zu schlagen, muss ein Anbetungsleiter nicht nur ein guter Laientheologe und ein Pastor, sondern auch ein Missionar sein.

Eine Anbetung, die Gott zum Zentrum hat, in die Menschen wirklich mit hineingenommen werden, die einladend für Außenstehende ist. Das ist meine Vision für Anbetung.


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