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Freundschaft (Teil 1: Freundschaft verstehen und leben)

In der Antike galt die Freundschaft als die glücklichste und menschenwürdigste aller Liebesarten, die Krone des Lebens und die Schule der Tugend. Aber die moderne Welt ignoriert sie völlig.“ (C. S. Lewis)

Freundschaft ist ein Thema, über dass man nicht genug hört. Wo lernt man, ein guter Freund zu sein, gute Freunde zu finden, und Freundschaften zu pflegen? Und auch in der christlichen Welt empfinde ich einen starken Mangel an hilfreicher Lehre und Anleitung. Dabei findet man in der Bibel zum Thema Freundschaft einiges an praktischer Weisheit – vor Allem im Buch der Sprüche.

 

 

Der Ursprung der Freundschaft.

Der Ursprung der Freundschaft ist eigentlich in der Dreieinigkeit zu finden. Christen glauben, dass es nur einen Gott gibt, der sich aber in 3 Personen manifestiert: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Bevor Gott irgendetwas schuf, gab es in der Gottheit also bereits eine Form der Gemeinschaft – oder, wenn man es so nennen will: der Freundschaft.

 

So schuf Gott auch nicht aus Einsamkeit, um endlich ein paar Freunde zu haben. Vielmehr reproduzierte er etwas, dass ihm bereits zu Eigen war. Wir sind also nicht dazu da, Gottes psychologischen Nöten zu begegnen, sondern seine herrliche Eigenschaft als dreieinigen Gott wieder zu spiegeln.

 

Und so lesen wir in der Schöpfungsgeschichte in 1. Mose 2, wie Gott sich den einzigen, einsamen Menschen anschaut, und sagt: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist“, und einen zweiten Menschen macht, dem ersten ähnlich, zu ihm passend. Gott hat Menschen für einander geschaffen, damit sie durch ihre zwischenmenschlichen Beziehungen etwas über ihn lernen und an andere weitergeben.

 

 

Faktoren einer Freundschaft.

Es braucht verschiedene Faktoren, damit eine Freundschaft entstehen kann. Ob es dabei unbedingt eine Reihenfolge gibt, weiß ich nicht. Aber folgende Punkte sind entscheidend:

 

Gemeinsamkeit. Freunde haben etwas gemeinsam. Das heißt nicht, dass sie sich immer in besonderem Maße gleichen. Freunde können sehr verschieden sein. Aber sie haben etwas, das sie eint, was als Grundlage für ihre Freundschaft dient. C. S. Lewis schreibt in „Was man Liebe nennt“:

 

Freundschaft entsteht aus bloßer Kameradschaft, wenn zwei oder mehr Kameraden entdecken, dass sie eine Einsicht, ein Interesse oder auch einen Geschmack teilen, der andern nichts bedeutet. Bis zu diesem Zeitpunkt glaubte jeder, er sei allein mit diesem Schatz (oder mit dieser Last). Typisch für eine beginnende Freundschaft wäre etwa der Satz: ‚Was? Auch du? Ich dachte, ich sei der einzige!‘“

…und weiter: „Liebende stehen sich gegenüber, ineinander versunken – Freunde stehen Seite an Seite, versunken in ein gemeinsames Anliegen.“

 

Nähe. Bei einer Freundschaft wird die Grenze vom Professionellen, Förmlichen und Distanzierten hin zum Persönlichen überschritten. Ein Freund ist am Alltag, an Details und am Innenleben seines Freundes interessiert.

 

Dazu gehört natürlich eine bestimmte Offenheit. Man muss bereit sein, sich dem Anderen zu öffnen, sich verletzlich zu machen. Auf der Grundlage des Vertrauens und der Sympathie ist das jedoch möglich.

 

Hilfe. Echte Freunde helfen sich gegenseitig. Sie helfen einander, persönlich weiter zu kommen. Dabei ist die Motivation das Interesse am Wohlergehen des Anderen.

 

Verpflichtung. Im Deutschen spricht man davon, dass Freundschaften geschlossen werden. Es ist eine Art Bund, der zwischen zwei (oder mehr) Menschen entsteht. Die Idee dahinter ist es, eine dauerhafte, bleibende Beziehung zu schaffen, die nicht durch Kleinigkeiten zerstört werden kann. „Eine Freundschaft, die beendet werden kann, hat eigentlich nie so recht begonnen.“ (Mellin de Saint-Gelais)

 

Zuneigung. Letztendlich ist Freundschaft eine Form der Liebe. Freunde mögen sich. Sie sind sich sympathisch. Ob sie dafür den Grund schon entdeckt haben oder nicht, ist zweitrangig. Manche sprechen von einer ‚Seelenverwandtschaft‘, um dieses Phänomen zu beschreiben.

 

Ohne diese Faktoren hat man keine wirkliche Freundschaft. Daher ist es ratsam, mit dem Titel ‚Freund‘ sehr sparsam umzugehen. Wenn man einen Freund gefunden hat, auf den diese Beschreibung passt, sollte man Spurgeons Rat befolgen, der schrieb: „Wenn du solch einen Menschen gefunden hast, der die Aufrichtigkeit seiner Freundschaft bewiesen hat; wenn er dir (…) treu gewesen ist, so kette dich mit Haken aus Stahl an ihm fest und lass ihn niemals los.“

 

 

Der ideale Freund.

Ein Grund für die Menschwerdung von Jesus ist sein Wunsch, mit anderen Menschen Freundschaften einzugehen. Auch wenn es vielleicht kindisch (kindlich?) klingt, aber er will tatsächlich der unsichtbare beste Freund eines jeden Menschen sein. Als Jesus auf dieser Erde lebte, hatte er Freunde. Die drei Geschwister, Maria, Martha und Lazarus. Aber vor Allem seine Jünger. Und davon ganz besonders Petrus, Johannes und Jakobus.

 

Jesus ist der ideale Freund. Das wird sichtbar, wenn man Jesus an den eben genannten Faktoren misst. Dabei wird klar, wie die großen christlichen Lehren in diesen Bereich hineinsprechen. Die wichtigsten Stellen im Neuen Testament sind die Abschnitte, in denen besondere Momente zwischen Jesus und seinen Freunden festgehalten werden: der Tod des Lazarus, das letzte Abendmahl, die Abschiedsrede an seine Jünger und sein Gebetskampf im Garten Gethsemane.

 

Gemeinsamkeit: Gott stellte durch die Inkarnation (Gott wurde in Jesus Mensch) und durch die Adoption (Gott nimmt uns in Jesus in seine Familie auf) zwei wichtige Gemeinsamkeiten auf. Jesus wurde Mensch – genau wie wir es sind. Und weil Jesus am Kreuz unseren Platz eingenommen hat, können wir jetzt Teil der Familie Gottes sein. Jesus ist unser großer Bruder, wir haben denselben himmlischen Vater. Er steht mit uns Seite an Seite.

 

Nähe: Die für eine Freundschaft so wichtige Nähe schuf Gott, indem er den Heiligen Geist sandte. Auch wenn Jesus bei der Himmelfahrt zurück zum Vater gegangen ist, so hat er doch versprochen, nie weit weg zu sein: „Ich werde euch nicht als hilflose Waisen zurücklassen; ich komme zu euch.“ (Johannes 14,18; NGÜ) „Und seid gewiss: Ich bin jeden Tag bei euch, bis zum Ende der Welt.“ (Matthäus 28,20; NGÜ) An Pfingsten sandte er den Heiligen Geist (der „Geist Jesu“), durch den er seitdem nicht nur bei uns ist, sondern in uns wohnt („Innewohnung“).

 

Offenheit: Jesus verstand den Unterschied zwischen einem Diener und einem Freund. In einer Ansprache an seine Jünger kurz vor seinem Tod sagte er: „Ich nenne euch Freunde und nicht mehr Diener. Denn ein Diener weiß nicht, was sein Herr tut; ich aber habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe.“ (Johannes 15,15; NGÜ) Damit erfasste er einen der Hauptunterschiede: das Maß an Offenheit. Jesus nahm Petrus, Johannes und Jakobus mit in den Garten Gethsemane, wo er in der Nacht vor seinem Tod an seiner Aufgabe fast zerbrach, und betend Blut und Wasser schwitzte. Er öffnete sich ihnen, ließ sie wissen, wie er sich fühlte: todtraurig und einsam.

 

Hilfe: Jesus kam, um den Menschen zu helfen. Die größte Hilfe hat er dadurch gegeben, dass er am Kreuz für uns starb, um uns so vor unseren Sünden zu retten. „Niemand liebt seine Freunde mehr als der, der sein Leben für sie hergibt.“ (Johannes 15,13; NGÜ) Als idealer Freund ist er diesem Wunsch, uns zu helfen, völlig hingegeben. Er hilft uns jetzt, indem er sich für uns vor dem Vater vertritt (als stellvertretendes Sühneopfer), und indem er unsere Gebete beantwortet. Wie es in dem Kirchenlied „Welch ein Freund ist unser Jesus“ heißt: „Sind mit Sorgen wir beladen, Sei es frühe oder spät, Hilft uns sicher unser Jesus, Fliehn zu ihm wir im Gebet.“

 

Verpflichtung: Das große Symbol der Verpflichtung, die Jesus uns gegenüber eingegangen ist, sehen wir im Abendmahl: „Dann nahm er den Becher, sprach darüber das Dankgebet, gab ihnen auch den, und alle tranken daraus. Dabei sagte er zu ihnen: »Das ist mein Blut, das für alle Menschen vergossen wird. Mit ihm wird der Bund in Kraft gesetzt, den Gott jetzt mit den Menschen schließt. Ich sage euch: Ich werde keinen Wein mehr trinken, bis ich ihn neu trinken werde an dem Tag, an dem Gott sein Werk vollendet hat!«“ (Markus 14,23-25; GNB) Mit dem Abendmahl erinnern wir uns daran, dass sich Jesus uns verpflichtet hat. Sein Blut ist das Siegel unserer Freundschaft.

 

Zuneigung: Wer durch Jesus eine Beziehung zum himmlischen Vater hat, kann sich sicher sein, dass Gott uns nicht ’nur‘ liebt – er mag uns. Das ergibt sich eigentlich ganz logisch aus der Tatsache, dass er seine Jünger Freunde nennt. Sie waren ihm nicht nur in seiner Sache hilfreich, er suchte eine freundschaftliche Beziehung mit ihnen. Und wer sucht sich schon jemanden zum Freund aus, den er nicht mag? In Johannes 16,27 wird im Urtext ein Wort gebraucht, mit dem gewöhnlich die freundschaftliche Liebe beschrieben wurde. Und auch wenn man sich nicht so viel aus Wortstudien macht (vor Allem bei Johannes, der sich gerne wiederholte, und dabei leicht unterschiedliche Worte gebrauchte) – diesen Vers kann man ohne das Konzept der Freundschaft nicht verstehen: „denn der Vater liebt euch. Er liebt euch, weil ihr mich liebt und nicht daran zweifelt, dass ich von Gott gekommen bin.“ Es ist eine gegenseitige, freundschaftliche Liebe, die darauf basiert, dass wir ihm vertrauen.

 

 

Zum Nachdenken:

Für eine gute Freundschaft braucht es zwei Seiten. Das gilt für die Beziehung von uns Menschen untereinander. Es gilt aber auch für unsere Beziehung zu Jesus. Deswegen müssen wir uns fragen: bin ich ein guter Freund/eine gute Freundin gewesen? Jesus kann nur mein Freund sein, wenn ich auch sein Freund bin. Bin ich bereit, ihm nachzufolgen? Mit ihm dahin zu gehen, wo er hingehen muss? Bin ich offen dafür, seine Nähe nicht nur zuzulassen, sondern auch aktiv zu suchen? Lebe ich in Gemeinschaft mit ihm? Bin ich bereit, mich an seiner Mission (die Rettung der Welt) zu beteiligen, ihm zu ‚helfen‘? Habe ich freundschaftliche Gefühle für Jesus? Und: lebe ich verbindlich als sein Freund/seine Freundin? Um nochmal das Spurgeon-Zitat zu bemühen: Jesus hat die Aufrichtigkeit seiner Freundschaft durch seinen Tod bewiesen. Er ist treu gewesen. Deswegen sollte ich mich mit Ketten aus Stahl an ihn ketten und ihn nie wieder loslassen…

(Im nächsten Teil geht es um die Rolle der Freundschaft in den Bereichen Evangelisation, Jüngerschaft und Leiterschaft. )

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Jesus und Kultur

Weil Jesus in derselben Gegend, in der er geboren und aufgewachsen war auch wirkte, übersieht man sehr leicht die Tatsache, dass er als Gottes auf die Erde gesandter Sohn trotzdem ein Missionar war. Das er dieses Selbstverständnis hatte, wird besonders im Johannesevangelium deutlich, in dem über 40 Mal berichtet wird, wie Jesus davon spricht, dass er vom Vater in die Welt gesandt ist.

Jesus wusste: Sein Auftrag war es, innerhalb der jüdischen Kultur Israels seiner Zeit Gottes Charakter zu offenbaren. Die ersten 30 Jahre seines Lebens auf der Erde verbrachte er damit, einer von ihnen zu werden. Nur so konnte er ein Mittler, ein Vermittler und ein Übersetzer zwischen der geistlichen Welt und seinem Umfeld sein. Dass er so arbeitete, sieht man an den Gleichnissen, die er erzählte, aber auch in seinem Verhalten im Umgang mit Menschen und in Einzelgesprächen. Lukas Kapitel 14 ist ein gutes Beispiel dafür.

An einem Sabbat war Jesus im Haus eines hochrangigen Pharisäers. Die Leute beobachteten ihn genau.“ (1)

Jesus nimmt am kulturellen Leben teil, indem er die Einladung eines leitenden Pharisäers annimmt. Die jüdische Kultur, in die ihn der Vater gesandt hatte, war stark religiös und moralistisch. Die Tischgemeinschaft des Pharisäers ist in gewisser Weise das symbolische Herz dieser Kultur.

Es befand sich dort ein Mann, dessen Gliedmaßen geschwollen waren. Jesus fragte die Pharisäer und Gesetzeskenner: »Ist es nun nach dem Gesetz erlaubt, Menschen am Sabbat zu heilen, oder nicht?« Als sie nicht antworten wollten, berührte Jesus den kranken Mann, heilte ihn und schickte ihn fort. Dann wandte er sich an sie und fragte: »Wer von euch würde am Sabbat nicht arbeiten, wenn es nötig ist? Wenn euer Sohn oder euer Ochse in einen Graben fällt, geht ihr dann nicht sofort hin und zieht ihn heraus?« Und wieder wussten sie keine Antwort.“ (2-6)

„Jesus begann“ (Elberfelder Übersetzung) = er initiiert ein Gespräch, in welchem er konfrontiert und lehrt. Seine Fragen sind so präzise, weil er die Menschen und ihren Umgang mit der eigenen Kultur so gut kannte. Er kannte auch ihre Doppelmoral und traf so mit seinen Fragen voll ins Schwarze: „sie konnten ihm darauf nicht antworten.“

Seine Lektion für seine Kultur: Barmherzigkeit (innerlich) statt äußerlicher Frömmigkeit. Er zeigt den Unterschied zum Reich Gottes auf.

Als Jesus sah, dass alle, die zum Essen gekommen waren, sich einen Platz am oberen Ende des Tischs aussuchten, sagte er zu ihnen: »Wenn du zu einem Hochzeitsfest eingeladen bist, strebe nicht nach dem besten Platz. Denn was ist, wenn jemand eingeladen wurde, der angesehener ist als du? Der Gastgeber wird sagen: `Lass diesen Mann hier Platz nehmen.´ Und dann musst du beschämt aufstehen und zum letzten Platz gehen, der übrig geblieben ist! Setz dich stattdessen zunächst ans untere Tischende. Wenn dein Gastgeber dich dann sieht, wird er kommen und sagen: `Freund, wir haben aber einen besseren Platz für dich!´ So wirst du vor allen anderen Gästen geehrt werden. Denn die Stolzen werden gedemütigt, die Demütigen aber geehrt werden.« Dann wandte er sich an seinen Gastgeber: »Wenn du mittags oder abends Gäste zum Essen einlädst, dann lade nicht deine Freunde, Brüder, Verwandten oder reichen Nachbarn ein. Denn sie werden es dir vergelten, indem sie dich ebenfalls einladen. Lade vielmehr die Armen, die Krüppel, die Gelähmten und die Blinden ein. Bei der Auferstehung der Gottesfürchtigen wird Gott dich belohnen, weil du Menschen eingeladen hast, die es dir nicht vergelten konnten.« Als ein Mann, der mit Jesus am Tisch saß, das hörte, rief er aus: »Gesegnet sind die, die am Festessen im Reich Gottes teilnehmen!« Jesus antwortete ihm mit folgendem Gleichnis: »Ein Mann bereitete ein großes Fest vor und verschickte viele Einladungen. Als alles vorbereitet war, sandte er seinen Diener aus, der den Gästen sagen sollte, dass es Zeit war, zum Fest zu kommen. Aber sie fingen alle an, Entschuldigungen vorzubringen. Einer sagte, er habe gerade ein Feld gekauft und wolle es nun begutachten; er bat, ihn deshalb zu entschuldigen. Ein anderer erklärte, dass er gerade fünf Paar Ochsen gekauft habe und sie prüfen wolle. Wieder ein anderer hatte gerade geheiratet und meinte, er könne deshalb nicht kommen. Der Diener kam zurück und berichtete seinem Herrn, was sie gesagt hatten. Da wurde der Herr zornig und sagte: `Geh hinaus auf die Straßen und Wege der Stadt und lade die Armen, die Krüppel, die Lahmen und die Blinden ein.´ Der Diener tat, was ihm aufgetragen worden war, und berichtete dann: `Wir haben noch Platz für weitere Gäste.´ Da sagte sein Herr: `Geh hinaus auf die Landstraßen und hinter die Hecken und bitte jeden, den du findest, zu kommen, damit das Haus voll wird. Denn keiner von denen, die ich zuerst eingeladen habe, soll auch nur das Geringste von dem bekommen, was ich für sie vorbereitet hatte.´« (7-24)

Er spricht gezielt die unterschiedlichen Gruppen an („zu den Eingeladenen“ in Vers 7, „zu dem, der ihn eingeladen hatte“ in Vers 12), bzw. reagiert spontan auf aufkommende Einwürfe (Verse 15-16). Dabei erklärt er ihnen, wie es aussehen müsste, wenn das Reich Gottes ihre fromme Kultur durchdringen würde, bzw. leitet sie dazu an, sich entsprechend zu verhalten (Verse 7-14). Er nimmt ihre Kultur und erklärt das Evangelium durch sie. Er erklärt, was es heißt, in dieser Kultur Christ zu sein.

Eine große Menschenmenge begleitete Jesus. Er wandte sich um und sagte zu ihnen: »Wer mir nachfolgen will, muss mich mehr lieben als Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern – ja, mehr als sein Leben. Sonst kann er nicht mein Jünger sein. Und ihr könnt auch nicht meine Jünger sein, wenn ihr nicht euer Kreuz auf euch nehmt und mir nachfolgt.“ (25-27)

Diese Aussagen (Hass für die Familie und Tragen des Kreuzes) sind eine bewusste Konfrontation, nicht nur der Kultur, sondern des Einzelnen innerhalb der Kultur. Wie drastisch diese Aussagen sind, wird einem klar, wenn man folgendes bedenkt:

  1. Der Stellenwert der Familie in der orientalischen Kultur. Seine Familie zu hassen ist die Kultur mit Füßen zu treten.
  2. Die Bedeutung des Kreuzes in dieser Kultur: erniedrigendes Symbol römischer Unterdrückung (gekreuzigt wurden vor Allem Nichtrömer und Sklaven) und beschämendes Symbol göttlichen Fluches. („Verflucht ist jeder, der am Kreuze hängt.“ 5. Mose 21,23)

Natürlich tritt Jesus hier nicht aus Unwissenheit in kulturelle Fettnäpfchen – die offensiven Implikationen seiner Aussagen sind im völlig bewusst und beabsichtigt. Er drückt sich bewusst so aus, um wachzurütteln und die Radikalität seiner Botschaft zu verdeutlichen. Er wollte sich nicht brav in die Kultur einfügen, sich darin auflösen und einfach ein Teil davon werden. Er macht sich durch seine Aussagen bewusst zum Stein des Anstoßes, um seinen rechtmäßigen Platz über der Kultur einzunehmen. Denn obwohl er als Mensch Teil und Produkt seines kulturellen Umfeldes war, steht er doch als Gottes Sohn über ihr.

Aber kommt nicht, ehe ihr nicht die Kosten berechnet habt. Denn wer würde mit dem Bau eines Hauses beginnen, ohne zuvor die Kosten zu überschlagen und zu prüfen, ob das Geld reicht, um alle Rechnungen zu bezahlen? Sonst stellt er vielleicht das Fundament fertig, und dann geht ihm das Geld aus. Wie würden ihn da alle auslachen! Sie würden sagen: `Das ist der, der mit dem Bau eines Hauses angefangen hat und dann nicht genug Geld hatte, es fertig zu stellen!´ Oder welcher König käme je auf den Gedanken, in den Krieg zu ziehen, ohne sich zuvor mit seinen Beratern zusammenzusetzen und zu erörtern, ob seine Armee von zehntausend Soldaten stark genug ist, die zwanzigtausend Soldaten zu besiegen, die gegen ihn aufmarschieren? Wenn er dazu nicht in der Lage ist, wird er dem Feind, wenn dieser noch weit weg ist, Unterhändler entgegenschicken und versuchen, einen Frieden auszuhandeln. Genauso kann auch niemand mein Jünger sein, ohne alles für mich aufzugeben.“ (28-33)

Das wird in seiner Erklärung deutlich: er fordert den ersten Platz im Herzen seiner Nachfolger – ein Platz, der nur Gott selbst vorbehalten ist. Dabei spricht er auf faszinierende Weise in die Kultur hinein. Es ist, als würde er sagen: „Die Familie ist für euch unglaublich wichtig. Aber ich bin wichtiger! Seid ihr bereit, das anzuerkennen, eure Werte von mir verschieben zu lassen? Mir gehört der Platz in euren Herzen/in eurer Kultur, der im Moment durch die Familie besetzt ist.“ und „Nationaler und religiöser Stolz sind euch unheimlich wichtig. Keiner trägt freiwillig das Symbol der Schande, es widerspricht eurem patriotischen Ehrgefühl. Aber ich bin wichtiger als eure Frömmigkeit oder euer Patriotismus. Seid ihr bereit, diese Dinge für mich aufzugeben, um mir nachzufolgen? Der Platz, den die Ehre in euren Herzen/eurer Kultur einnimmt – der steht mir zu. Werdet ihr ihn für mich räumen?“

Seine Interaktion mit den Menschen, sei es im privaten (1-24) oder im öffentlichen Bereich (25-33) zeigt sein tiefes Verständnis der jüdischen Kultur. Nur wenn man seine Botschaft vor diesem Hintergrund sieht, begreift man, wie hart, wie provokant und wie bohrend sie tatsächlich ist. Und man merkt, dass man sich anstrengen muss, um diese Worte für sein eigenes Herz und für die Menschen um sich herum anzuwenden.

Salz ist gut zum Würzen. Aber wie macht man es wieder salzig, wenn es seine Würzkraft verliert? Geschmackloses Salz eignet sich weder für den Boden noch als Dünger. Es wird weggeworfen. Wer bereit ist zu hören, soll zuhören und begreifen!« (34-35)

Eins ist sicher: diese Warnung sollte im Kontext des Kapitels verstanden und dann vom Einzelnen und der Gemeinde beachtet werden. Jesu Worte sind Salz in der Gesellschaft. Sie haben eine reinigende, durchdringende Kraft. Aber was soll Gott mit einer Gemeinde machen, die ihre Salzigkeit innerhalb der jeweiligen Kultur verloren hat – und das passiert, wenn sie sich nicht als in die Kultur gesandten Missionar versteht –? Diese Gemeinde ist kraftlos, sie bewirkt nichts, sie erfüllt ihren Zweck nicht und ist in diesem Sinne unnütz geworden. Ein hartes Urteil.


Die Macht der Minderheit.

Vor unserem ersten Gebetstreffen (Ende Januar 2010) setzte ich mich mit den Kapiteln 6-9 im alttestamentlichen Buch Richter auseinander. Aus der Geschichte eines der Hauptcharaktere des Buches, Gideon, gab es verschiedene Punkte, die zu mir sprachen:

  1. Gideon hatte die richtige Einstellung: ihm war bewusst, dass die Vorstellung, dass er – ohne Gottes Kraft, in seiner eigenen Schwachheit und Bedeutungslosigkeit – von Gott gebraucht werden könnte, bloß ein Witz war.
  2. Er wollte Beweise, dass Gott wirklich auf seiner Seite war. Er war kein Fanatiker, sondern ging sehr bedächtig vor.
  3. Sein erster Auftrag war es, sich mit den Götzen in seiner eigenen Familie zu befassen – was er auch tat. Er riss die Götzenstatuen nieder, und errichtete an deren Stelle einen Altar für den Herrn. Es ist wichtig, immer zuerst vor der eigenen Haustür zu kehren. Persönliche Integrität geht vor – besonders bei einer klaren Berufung.
  4. Als er dann aufgefordert wurde, die Unterdrücker zu bekämpfen, bat er zweimal um ein übernatürliches Zeichen. Das tat er aber nicht, weil er nicht gewusst hätte, was er tun soll, sondern um Mut zu bekommen, seinen Auftrag umzusetzen.
  5. Er hat eine ganze Armee von Freiwilligen. Aber Gott will sichergehen, dass jedem klar ist, wem der Sieg zu verdanken sein würde. Um dieses Ziel zu erreichen, lichtet er zuerst die Reihen der Freiwilligen. Interessant hierbei seine Vorgehensweise: zuerst schickt er alle nach Hause, die Angst haben (die Angst ist in diesem Fall ein Zeichen mangelnden Gottvertrauens). Mehr als die Hälfte geht nach Hause. Alexander MacLaren schreibt:

    Nicht, dass der Glaube von jeder Vermischung mit Furcht frei sein müsste. Aber er muss die Furcht unterwerfen können, wenn jemand Gottes Krieger sein will, der in Seiner Stärke kämpft.

  6. Der zweite Test ist ebenfalls sehr interessant: Jeder soll Wasser aus einem Bach trinken. Diejenigen, welche das Wasser wie ein Hund direkt aus dem Bach trinken, müssen nach Hause gehen. Die anderen, die etwas zivilisierter tranken, durften bleiben und kämpfen. Ich denke, dass wir hier sehen, dass Gott mutige Männer möchte – aber nicht mit dem Mut eines Wilden, sondern eines Ritters. Nicht Wildheit, sondern kontrollierte Stärke. Männer, die entschlossen genug waren, um zu kämpfen, aber auch diszipliniert genug, um das auch beherrscht zu tun.
  7. Bei beiden Prüfungen geht es darum, herauszufinden, ob es sich um geistliche Männer handelt. Zuerst sendet er die nach Hause, die mehr Angst als Glauben haben. Aber dann gibt es noch den natürlichen Mut, der aus Unwissenheit oder Wildheit kommt. Das war der Mut der Mehrheit…trotzdem wurden sie nach Hause geschickt.
  8. Nun besteht Gideons Armee nur noch aus 300 Männern. MacLaren schreibt:

    Eine Lektion, die wir aus dieser Ausdünnung der Reihen lernen können, ist dass wir nicht anfangen brauchen, Köpfe zu zählen, wenn wir sicher sind, dass wir sein Werk tun. Noch brauchen wir uns davor zu fürchten, in der Unterzahl zu sein. Minderheiten sind oft im Recht, wenn sie Apostel neuer Ideen sind. Minderheiten, die sich an irgendwelchen Fossilien festklammern, liegen meistens falsch. (…) Lasst uns sichergehen, dass wir auf Gottes Seite sind. Und dann wollen wir uns nicht darum sorgen, wie wenige an unserer Seite sind, noch uns fürchten (…). Die dreihundert Helden hatten Gott auf ihrer Seite, und es war genug.