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Das Was und Warum der Liturgie

Christliche Gottesdienste können sehr unterschiedlich sein. Manche sind eher durchdacht und förmlich, andere eher spontan und informell. Um diese Unterschiede zu erklären unterteilt man oft in ‚liturgische‘ und ‚freie‘ Gottesdienste. Ich verstehe die Absicht dahinter, aber sprachlich gesehen ist es Unsinn, denn jeder Gottesdienst hat eine Liturgie.

Das Was

Liturgie bedeutet eigentlich nichts Anderes als die Gottesdienstordnung. Dabei spielen vor Allem drei Faktoren eine Rolle: Ort, Zeit und Ablauf. Sobald man in der Planung für einen Gottesdienst festlegt, wo man sich wann trifft, und was man dann wie und in welcher Reihenfolge tut, hat man eine Liturgie geschaffen.

Die verschiedenen Konfessionen, Traditionen und Denominationen haben in ihrer Liturgie auch unterschiedliche Riten. Selbst bei den ganz Freien und Spontanen werden zum Beispiel zum Gebet die Köpfe geneigt, die Hände gefaltet oder gehoben, die Augen geschlossen, und (je nach Grad der Amerikanisierung) das Gebet mit ‚in Jesu Namen‘ abgeschlossen. Beim Abendmahl liest man die Einsetzungsworte aus 1. Korinther 11. Selbst die halbstündige Worshipzeit ist Teil einer Liturgie aus der charismatischen Gemeindetradition. Jede Gemeinschaft entwickelt in ihrer Anbetung ihre eigenen Rituale und eigene Symbolik. Die Frage bei der Liturgie ist also nie, ob es sie gibt, sondern wie sie aussieht und was dahinter steht.

 

Das Warum

Bei Liturgie geht es nicht um Ästhetik – es geht um Theologie und um respektvolle Höflichkeit.“ (Eugene Peterson)

Im mosaischen Gesetz regelte Gott die Anbetung für sein Volk ziemlich detailliert. Dabei sollte sich Mose genau an die Vorgaben halten, die er gezeigt bekommen hatte. Die Liturgie der ersten Christen war in vielerlei Hinsicht einfach eine Fortführung der jüdischen Synagogengottesdienste. Die ‚liturgischen‘ Gottesdienste haben ihre Wurzeln also im Alten Testament und im Judentum zur Zeit von Jesus. Sie sind nicht – wie manche meinen – ein späteres Produkt einer geistlich toten und deswegen auf Äußerlichkeiten fixierten und institutionalisierten Staatskirche.

Das Neue Testament ist übersät mit Spuren der frühchristlichen Liturgie (Buchtipp zum Thema: Gottesdienst ist mehr von Thomas Schirrmacher). Aber eine Stelle ist besonders aufschlussreich: 1. Korinther 14.

Die Gemeinde in Korinth war sehr charismatisch – es gab viele übernatürliche Manifestationen von Gottes Gegenwart. Paulus ermutigt dazu, diese Gaben weiterhin zu suchen (12,31), und für das spontane Wirken des Heiligen Geistes offen zu bleiben, zu erwarten, dass Gott wirkt (14,5). Auf diesem Hintergrund macht er zwei Punkte, die helfen, das ‚Warum‘ einer durchdachten Liturgie zu beantworten.

  1. Liturgie spiegelt Gottes Wesen wieder – Gott ist kein Gott der Unordnung

Paulus rät nicht vom Sprachengebet ab, gibt aber konkrete Anweisungen: Nicht mehr als zwei oder drei, nacheinander, und nur mit Auslegung. Ähnlich beim prophetischen Reden: zwei oder drei, nacheinander, und nur mit Beurteilung. Für den Gottesdienst gilt: „Alles soll angemessen und ordentlich geschehen.“ (40) Seine theologische Begründung fasziniert: „Denn Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens.“ (33) Für Paulus war es wichtig, dass die Gottesdienstordnung Gottes Wesen widerspiegelt. Klarheit, Übersichtlichkeit und Ordnung bringen Ruhe („Frieden“) in den Gottesdienst. Und das entsprach für Paulus dem Charakter Gottes mehr als das spontane Durcheinander der korinther Gemeinde.

  1. Liturgie ist hilfreich für Besucher – Liebe in den Mittelpunkt

Der alles entscheidende Faktor war für Paulus die Liebe. Das bekannte Kapitel 13 ist ein Plädoyer dafür, die Liebe in den Mittelpunkt eines Gottesdienstes zu stellen.

Liebe für die anderen Christen: „Aber in einer Gemeindeversammlung spreche ich lieber fünf verständliche Worte, die anderen helfen, als zehntausend Worte in einer anderen Sprache.“ (14,19) Nicht die persönliche Selbstverwirklichung und die eigene Freiheit sollen im Mittelpunkt stehen, sondern die Frage: Was hilft meinen Glaubensgeschwistern am ehesten weiter?

Liebe für Besucher: „Stellt euch nur einmal Folgendes vor: Ihr seid als ganze Gemeinde am selben Ort versammelt und fangt alle an, in Sprachen zu reden, ´die von Gott eingegeben sind`. Und nun kommen Leute dazu, die noch nicht viel oder noch gar nichts vom Glauben wissen. Werden sie nicht sagen: »Ihr seid verrückt!«? Und dann stellt euch vor, ihr alle verkündet prophetische Botschaften. Wenn jetzt jemand dazukommt, der vom Glauben nichts oder nicht viel weiß, macht alles, was ihr sagt, ihm bewusst, dass er ein Sünder ist. Durch alles, was er hört, sieht er sich zur Rechenschaft gezogen, und seine verborgensten Gedanken kommen ans Licht. Er wird sich niederwerfen, um Gott anzubeten, und wird ausrufen: »Gott ist wirklich in eurer Mitte!« (23-25; NGÜ) Paulus war seeker sensitive. Er machte sich darüber Gedanken, welche Reaktionen bei einem Nichtchristen durch das Verhalten von Christen im Gottesdienst hervorgerufen werden könnten. Eine durchdachte Liturgie macht es möglich, die Liebe (vor Allem zum nichtchristlichen Besucher) wirklich in den Mittelpunkt zu stellen. Das völlig Freie und Unüberlegte kann Besucher leicht verunsichern und oberflächlich oder flapsig wirken. Und gerade wegen dem großen Kontrast zum hektischen, unordentlichen und überfordernden Innenstadtleben kann ein ordentlicher, übersichtlicher Gottesdienst für einen Besucher wirklich wohltuend sein!

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Eine Vision für geistliches Leben – Teil 3: Relevant

„Das Verhältnis zwischen Christen und Kultur ist aktuell für die Kirche das entscheidende Thema.“ (Tim Keller)

„Ich versuche nicht, das Evangelium relevant zu machen, sondern die Relevanz des Evangeliums zu zeigen.“ (Mark Driscoll)

Zu unserer Vision für geistliches Leben gehört, dass es nicht nur historisch und organisch, sondern dabei auch relevant für unsere Mitmenschen sein soll. Um das Bild vom Baum aus dem letzten Artikel noch einmal aufzugreifen: der Baum besteht ja nicht nur aus Wurzeln, sondern auch aus einem Stamm, sowie aus Ästen und Zweigen, die sich immer weiter ausstrecken.

Unter „Relevanz“ verstehen wir nicht einfach eine Anpassung der Kirche an ihr kulturelles Umfeld, bei der es nur darum geht, dass Form und Inhalt ‚zeitgemäß‘ sind. Darin sehen wir nämlich die Gefahr, beliebig zu werden, die christliche Identität aufzugeben und damit Verrat an sich selbst zu begehen. Die historischen Wurzeln der Kirche dürfen nicht gekappt werden. Sonst sind wir morgen vielleicht so hip, dass wir übermorgen schon wieder veraltet sind. Relevant sein bedeutet, mit der uns umgebenden Kultur in Berührung zu bleiben. Wir möchten nicht reaktionär und defensiv sein, sondern als Christen proaktiv und dienend am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Nur wenn wir Teil der Kultur sind, können wir sie von innen heraus mit einem gelebten und gepredigten Evangelium konfrontieren.

Konkret: In der Praxis bedeutet das dann folgendes:

Wir wollen authentisch unseren Glauben im Alltag leben. An erster Stelle stehen nicht Programme, Projekte oder Events, sondern eine hohe Sicht des Alltäglichen. Unser geistliches Leben soll zuallererst im Alltag, für Familie, Freunde, Hobby und Beruf relevant sein. D. h., es soll sich dort ausdrücken, und das auf eine Art und Weise, die für unsere Nächsten von Bedeutung ist. Für uns ist das von Theologen so genannte ‚Priestertum aller Gläubigen‘ (alle Christen haben einen priesterlichen Dienst in der Welt) extrem wichtig. Die christliche Kirche ist eine Laienbewegung.

„…einer der Begriffe, der sich in unser christliches Vokabular hineingeschlichen, und dabei unglaublich vielen Seelen geschadet hat, ist „christlicher Vollzeitdienst“. Jedes Mal, wenn wir ihn gebrauchen, treibt es einen Keil der Missverständlichkeit zwischen unser Beten und unser Arbeiten, zwischen unser Gottesdienst Feiern und unser für den Lebensunterhalt Sorgen.“ (Eugene Peterson)

Wir schätzen jede Art von Musik, Kultur und Kunst als Ausdruck der Kreativität und Form der Kommunikation. Der christliche Glaube sollte kulturelle Vielfalt nicht zerstören, sondern feiern. Sie wird in Ewigkeit erhalten bleiben und ermöglicht ein vollständigeres Gesamtbild von Gottes Wesen. Wir glauben, dass der Wunsch, künstlerisch und schöpferisch aktiv zu sein, zu unserer Ebenbildlichkeit Gottes gehört. Außerdem ist Kunst eine Form der Kommunikation. Kunst sagt uns nicht nur etwas über Gott, sondern auch über das Innenleben und die Lebensrealität unserer Mitmenschen.

Wir wollen eine lokale Gegenkultur entwerfen. Das heißt, wir wollen eine alternative Gemeinschaft von Kölnern in Köln und für Köln sein. Nicht eine Subkultur, die sich letztendlich doch einordnen lässt, sondern eine Gegenkultur, wo wir Dinge in Frage stellen, und frei und kreativ überlegen: Wie sähe es aus, wenn die Herrschaft von Jesus in Köln anerkannt und gelebt würde? Das ist unser Experiment.

Wir wollen Verantwortung für die Menschen tragen. Jesus hat seine Gemeinde in die Welt gesandt. Im Rückzug aus der Welt sehen wir deswegen ein sich Drücken vor der gottgegebenen Verantwortung für unsere Mitmenschen. Wir haben nicht nur eine Bringschuld, was das Evangelium angeht, sondern wir sollen gemeinschaftlich Jesus in der Welt verkörpern. Dem gingen (laut Evangelien) auch gesellschaftliche, politische, und soziale Missstände und Nöte nahe. Konkrete Leiden seiner Mitmenschen ließen ihn nicht kalt. „Unsere Liebe darf sich nicht in Worten und schönen Reden erschöpfen; sie muss sich durch unser Tun als echt und wahr erweisen.“ Persönliche Evangelisation und sozial-diakonische Dienste, bzw. gesellschaftliches Engagement, sind deswegen für uns gleich wichtig. Wir finden: man darf sie nicht von einander trennen oder sogar gegen einander ausspielen.