Eine weitere wichtige Eigenschaft der Calvary Chapel Bewegung soll in der soulfire Gemeindegründung in Köln erhalten bleiben: und zwar die Rolle, die der Heilige Geist in unserem Denken und Leben spielt. Was die Person und die Hauptaufgaben des Heiligen Geistes angeht, herrscht eigentlich im ‚klassischen Christentum‘ große Übereinstimmung. Christen glauben an den Heiligen Geist, „der Herr ist und lebendig macht, der aus dem Vater hervorgeht, der mit dem Vater und dem Sohn angebetet und verherrlicht wird, der gesprochen hat durch die Propheten“ (aus dem Nicäno-Konstantinopolitanum). Der Heilige Geist ist Gottes (spürbare) Gegenwart in uns und um uns herum. Er ist die Kraft Gottes, die in uns, durch uns und auch unabhängig von uns bei jedem Menschen am Werk ist.
Der Heilige Geist hat sein Hauptaufgabenfeld in der Gemeinde. „Das Werk des Heiligen Geistes ist es, die aktive Gegenwart Gottes in der Welt, und insbesondere der Gemeinde, zu manifestieren.“ (Wayne Grudem) Er befähigt, reinigt, offenbart und vereint. Dadurch gibt er uns Beweise der Gegenwart und des Segens Gottes.
„Das Werk des Heiligen Geistes ist es, die aktive Gegenwart Gottes in der Welt, und insbesondere der Gemeinde, zu manifestieren.“ (Grudem)
Die Mission der Gemeinde ist eine geistliche Mission. Sie besteht aus Dingen, die eigentlich nur Gott tun kann: geistliche Segnungen, Rettung, Heilung, Vergebung und Veränderung in die Welt zu tragen. Kein Mensch kann einen anderen Menschen dazu bringen, Jesus als Herrn und Retter anzuerkennen. Deswegen ist die Gemeinde zu 100% von Gott dem Heiligen Geist abhängig. Im besten Fall sind wir als Gemeinschaft ein Kanal, durch den Gottes Wirken ungehindert fließen kann.
Eine gute Beziehung zum Heiligen Geist
Damit das möglich wird, müssen wir zum Einen als Einzelne eine gute Beziehung zum Heiligen Geist haben. Wir sollen an ihn glauben, um ihn bitten und uns komplett auf ihn verlassen. Wir werden als einzelne Christen dazu aufgerufen, mit dem Heiligen Geist zu kooperieren, ihn nicht durch unser Verhalten traurig zu machen oder sein Wirken einzudämmen. Statt dessen sollen wir „allezeit brennend im Geist“ sein.
Zum Anderen müssen wir darauf achten, dass wir dem Heiligen Geist auch in der Gemeindestruktur und im Gemeindeleben Raum geben. Wir sollen überlegen, planen und arbeiten. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass im Optimalfall der Heilige Geist sich unsere Arbeit als Werkzeug erwählt um das zu tun, was er tun will und nur er tun kann. Wie schnell ist man so besorgt und beschäftigt mit vielem Dienen, dass man keine Zeit mehr hat, um von ihm zu empfangen (siehe die Geschichte von Maria und Marta in Lukas 10,38-42)? Wie leicht passiert es, dass man den Heiligen Geist in einer Gemeinde ‚rausgeplant‘ hat… Wenn wir wollen, dass der Heilige Geist eine Gemeinde gebraucht, in ihr und durch sie wirkt, müssen wir uns davor hüten, bzw. Buße tun, wo das schon passiert ist. Unsere Beziehung zum Heiligen Geist (als Einzelne und als Gemeinde) muss immer wieder korrigiert werden.
Streitpunkt Geistesgaben
Ein Bereich, in dem besonders seit ca. 100 Jahren viel diskutiert wird, sind die sogenannten Geistesgaben. Das sind übernatürliche Befähigungen (wie z. B. das Beten in nie gelernten Sprachen, Prophetien, Heilungen, etc.), durch welche die Botschaft der Gemeinde bestätigt werden. Die Sichtweise, dass diese Geistesgaben mit der Ära der Apostel aufgehört haben, weil sie nur nötig waren, weil es noch keine Bibel gab, nennt man Cessationismus (von cessare, lat. „aufhören“). Auf der anderen Seite stehen vor Allem die Pfingstler und Charismatiker, in deren Glaubens- und Gemeindeleben diese Geistesgaben eine ganz zentrale Rolle spielen. Sie erkennen zwar an, dass die Geistesgaben während einem großen Teil der Kirchengeschichte ‚verschwunden‘ waren, erklären dies aber mit dem geistlichen Verfall, der durch Überstrukturierung (starre Traditionen und Liturgien, großer Schwerpunkt auf Ritualen) entstand.
Für mich entstehen hier zwei grundlegende Fragen: 1. Ersetzt die Bibel die Geistesgaben? und 2. Warum haben die Geistesgaben an einem bestimmten Punkt in der Kirchengeschichte fast komplett aufgehört?
Ersetzt die Bibel die Geistesgaben?
Die Kanonisierung der Bibel (die Auswahl darüber, welche Bücher in die Bibel gehören und welche nicht) ist das Herzstück christlicher Tradition. Die Bibel ist die Richtschnur des christlichen Glaubens. An ihr wird festgemacht, was Christen glauben und wie sie leben sollten. In ihr lesen wir davon, wie sich Gott in der Geschichte Israels, im Leben von Jesus, und in der ersten Gemeinde offenbart. Die Geistesgaben hingegen haben laut Paulus vor Allem die Aufgabe, Christen in ihrem Glauben zu stärken, und die Gemeinde zu einem Ort zu machen, an dem alle Menschen Gott erleben und sehen können. Sie sind ein Zeichen vom anbrechenden Reich Gottes auf dieser Erde. An keinem Punkt im Neuen Testament werden die Geistesgaben (auch nicht die Gabe der Prophetie) als normativ für den Glaubensinhalt dargestellt. Was den Glaubensinhalt (das Evangelium) angeht, sehen wir, wie Paulus sehr leidenschaftlich und heftig dafür kämpft, dass diese Botschaft ein für allemal fest steht. Gleichzeitig war er aber offen dafür, dass jemand wie der Prophet Agabus zu ihm kam, und ihm eine göttliche Botschaft übermittelte: „Der Heilige Geist erklärt: `So wird der Besitzer dieses Gürtels von den führenden Männern der jüdischen Gemeinde in Jerusalem gefesselt und den fremden Völkern ausgeliefert werden.“ (Apostelgeschichte 21,11b; NL) Dass Paulus trotzdem nach Jerusalem ging, zeigt, wie er mit dieser Weissagung umging. Sie war eine göttliche Offenbarung, bei der es aber nicht darum ging, wie er sich verhalten oder was er glauben musste. Und auch später war die Lehre der Apostel der Maßstab, an dem Prophetien gemessen wurden – nicht umgekehrt. Das sieht man z. B. in der Apostellehre (Didache), einem frühen christlichen Dokument. In diesem Dokument finden sich klare Anweisungen, um beurteilen zu können, welcher Prophet wirklich Botschafter Gottes war, und welcher nicht.
Haben die Geistesgaben aufgehört – und wenn ja, warum?
Schaut man sich die Schriften der Kirchenväter an, werden diese Fragen relativ eindeutig beantwortet. Die Geistesgaben hörten definitiv nicht mit dem Tod des letzten Apostels (Johannes) auf. Und weder der moralische Verfall der Kirche noch die Kanonisierung der Schrift führten dazu, dass die übernatürlichen Zeichen in der/durch die Gemeinde ganz aufhörten. Das wird durch verschiedene Schriften belegt:
„Bei uns gibt es nämlich noch bis auf den heutigen Tag prophetische Charismen [Geistesgaben].“ (Justin der Märtyrer, gestorben 165)
„…indem er [Paulus] die vollkommen nennt, die den Geist Gottes empfangen haben und durch den Geist wie er selber in allen Sprachen reden. Hören wir doch auch von vielen Brüdern in der Kirche, daß sie prophetische Charismen haben, in allerhand Sprachen durch den Geist reden, das Verborgene der Menschen zu ihrem Vorteil ans Licht bringen und die Geheimnisse Gottes erklären.“ (Irenäus, gestorben 200)
„Der Apostel [Paulus] meinte, dass die Gabe der Prophetie bis zum zweiten Kommen [Jesu] in der Gemeinde vorhanden sein würde.“ (Asterius Urbanus, 232)
„In seinem [d. i. Jesu] Namen wirken deshalb seine wahren Schüler, die von ihm die Gnade empfangen haben, Wunder an den übrigen Menschen, wie ein jeder von ihm die Gnade empfangen hat. Die einen treiben wahrhaft und bestimmt Geister aus, so daß oftmals die ihnen glauben, die von den bösen Geistern befreit sind, und in die Kirche eintreten. Die andern schauen in die Zukunft, haben Gesichte und weissagen. Wieder andere legen den Kranken die Hände auf und machen sie gesund. Ja sogar Tote sind auferstanden, wie wir bereits gesagt haben, und lebten unter uns noch etliche Jahre. Doch wer vermöchte alle die Gnaden aufzuzählen, welche die Kirche auf der ganzen Welt von Gott empfängt und zum Heile der Völker im Namen Jesu Christi, des unter Pontius Pilatus gekreuzigten, Tag für Tag ausspendet.“ (Irenäus, gestorben 200)
„Und dass es der Heilige Geist war, der damals [bei Jesu Taufe] „in Gestalt einer Taube“ erschien, das beweisen meines Erachtens „die Wunder, die durch Jesus geschehen sind (…). Doch ich will mich nicht nur auf diese Wunder berufen, sondern, wie recht und billig, auch auf jene, die die Apostel Jesu gewirkt haben. Denn ohne Kraftwirkungen und Wunder hätten sie die Hörer neuer Worte und neuer Lehren nicht dazu bestimmen können, die Religion ihrer Väter zu verlassen und trotz der drohenden Todesgefahren die Lehren der Apostel anzunehmen. Und auch [jetzt] noch haben sich Spuren des Heiligen Geistes, der „in Gestalt einer Taube“ gesehen wurde, bei den Christen erhalten; denn sie treiben Dämonen aus, vollbringen viele Krankenheilungen und tun nach dem Willen Gottes manchen Blick in die Zukunft.“ (Origenes, gestorben 253/254)
Aus diesen und anderen Quellen wird deutlich, dass die Gemeinde auf jeden Fall noch in den ersten 2-3 Jahrhunderten nach ihrer Entstehung ziemlich ‚charismatisch‘ war. Und die Geistesgaben wurden mit denselben Argumenten begründet, die man aus der pfingstlichen Theologie kennt. Im 4. und 5. Jahrhundert jedoch finden sich auch folgende Aussagen:
„An anderer Stelle schreibt Irenäus: „Wie wir hören, besitzen viele Brüder der Kirche prophetische Gaben, sprechen durch den Geist in vielen Sprachen, offenbaren das Verborgene zum Nutzen der Menschen und verkünden die Geheimnisse Gottes.“ So viel über die Tatsache, daß sich noch bis zu den erwähnten Zeiten bei denen, die würdig waren, die Auszeichnung, Wunder zu wirken, erhalten hat.“ (Eusebius, gestorben ca. 340)
Eusebius blickt in seiner Aufzeichnung der frühsten Kirchengeschichte ebenfalls wehmütig auf die Zeit zurück, als die Kirche noch diese übernatürlichen Zeichen göttlicher Gunst besaß.
„Diese ganze Stelle ist sehr unklar. Doch die Unverständlichkeit stammt aus unserer Unwissenheit was die Tatsachen angeht, auf die sich hier bezogen wird; und aus ihrem Aufhören, da sie damals auftraten, jetzt aber nicht mehr geschehen. (…) Und warum geschahen sie damals, geschehen aber jetzt nicht mehr?“ (Chrysostomus, gestorben 407)
Chrysostomus sah die Geistesgaben als etwas an, dass der Kirche wegen ihrer moralischen Verkommenheit abhanden gekommen war. Er sah in den Ritualen der Kirche nur die traurigen, äußerlichen Überreste einer vergangenen, herrlichen Lebendigkeit.
„In der frühsten Zeit „fiel der Heilige Geist auf diejenigen, welche gläubig geworden waren, und sie redeten in anderen Sprachen“, welche sie nicht gelernt hatten, „wie der Heilige Geist ihnen gab auszusprechen“. Dies waren Zeichen, die dem Zeitpunkt angepasst waren. Denn es schien notwendig zu sein, dass der Heilige Geist sich in allen Sprachen manifestierte, um zu zeigen, dass das Evangelium Gottes durch alle Sprachen in der ganzen Welt sich ausbreiten sollte. Dies geschah zu einem Zeichen, und es hörte wieder auf.“ (Augustinus, gestorben 430)
Augustinus argumentiert dagegen, dass die Sprachenrede als Zeichen der Bekehrung zu verstehen sei. Vielmehr sei die Liebe das wahre Zeichen dafür, dass jemand tatsächlich gläubig geworden war. Aber auch wenn dieses Zitat so klingt, als ob für Augustinus die Sache mit den Geistesgaben abgehakt sei, findet man doch in seinem Buch „Vom Gottesstaat“ eine überraschende Auflistung von Heilungserlebnissen aus seinem eigenen Dienst bzw. Umfeld. Entschieden lehnt er Zeichen und Wunder als Grundlage für den Glauben ab. Doch er schreibt: „Denn auch jetzt noch geschehen Wunder im Namen Christi, sei es durch seine Sakramente oder durch die Gebete und Reliquien seiner Heiligen; sie treten nur nicht so ans Licht, daß sie mit so strahlendem Ruhm wie die Anfangswunder sich verbreiteten.“ (Kapitel 22) Liest man weiter, wird klar, dass er keineswegs glaubte, dass es keinerlei übernatürliche Zeichen mehr geben würde. Nur würde diesen nach der Fertigstellung des biblischen Kanons bei weitem nicht mehr derselbe Stellenwert zugemessen.
Während den folgenden Jahrhunderten wurden die Gaben des Heiligen Geistes meistens auf die ’sieben Gaben des Geistes‘ (wie Ambrosius sie aufzählte) beschränkt: Weisheit, Verstand, Rat, Stärke, Erkenntnis, Frömmigkeit, Gottesfurcht. Doch es finden sich auch andere Beispiele, für übernatürliches Wirken Gottes, so dass der Theologe D. A. Carson zu dem Schluss kommt:
„Es gibt genügend Belege dafür, dass die Geistesgaben in irgendeiner Form (wenn auch nur sporadisch) in allen Jahrhunderten der Kirchengeschichte fortbestanden. Daher ist es lehrmäßig gesehen unsinnig, darauf zu bestehen, dass jeder Bericht seinen Ursprung in dämonischen Aktivitäten oder geistiger Verwirrung hat.“ (Showing the Spirits)
Fazit
Auch wenn die Geistesgaben in der frühen Kirchengeschichte stark nachgelassen haben, haben sie doch nie ganz aufgehört. Das Wiederaufflammen seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts kommt nicht aus dem Nichts, sondern ist genau das: ein Fünkchen Glut, das durch den Atem Gottes wieder zu einem Feuer werden kann – in jeder Gemeinde. Die Zeugnisse aus der Kirchengeschichte sind auf gar keinen Fall so zu verstehen, dass man jetzt alles ungeprüft zulassen soll, was im Namen des Heiligen Geistes passiert. Im Gegenteil. Wir müssen nicht nur neu lernen, die Kraft und die Wirkungen des Heiligen Geistes zu suchen, sondern auch, diese Wirkungen anhand der Schriften zu prüfen – sie zu be- und manchmal auch verurteilen. Wir brauchen den Heiligen Geist. Er ist das Leben der Gemeinde.