Während es sich bei den ersten vier Teilen um wichtige Eigenschaften aus der Calvary Chapel Bewegung gedreht hat, werde ich in den folgenden Artikeln die Grundwerte der Redeemer Gemeindegründungsbewegung behandeln. Die Redeemer ‚core values‘ sind ebenso das Herzstück des CMP-Netzwerks, von dem Luci und ich ein Teil sind. Heute geht es um die Rolle der (Groß)stadt. Dabei will ich folgendes vorweg nehmen: es geht nicht darum, dass Christsein oder Gemeindegründung in Großstädten per se besser oder richtiger wäre. Oder dass die Menschen auf dem Land die christliche Botschaft weniger bräuchten, als die Stadtmenschen. Tatsächlich geht es nur darum, ein momentan vorhandenes Ungleichgewicht auszubalancieren. Denn die christliche Präsenz in deutschen Großstädten ist vergleichsweise schwach. Und die Gründe dafür sind eher beunruhigend.
Raus aus der Stadt?
Konservative Menschen fühlen sich in Städten häufig nicht so wohl wie auf dem Land. Städte sind pluralistischer, toleranter, individualistischer und liberaler. Für konservative Christen sind Großstädte oft das Sinnbild für Gottlosigkeit. Klassische Werte, konservative Lebensgestaltung und ein klar aufgeteiltes Weltbild – diese Dinge finden sich eher in ländlichen Gegenden. Im Neuen Testament steht die Stadt Babylon symbolisch für ‚die Welt‘, eine gottlose, von Ihm unabhängige Gesellschaft. Darin sehen viele konservative Christen anscheinend auch eine Bestätigung dafür, dass sie ähnliche Gefühle gegenüber der Großstadt hegen wie der Prophet Jona für die Stadt Ninive. Jona hatte kein Mitleid für die Stadt. Er war nicht bloß gleichgültig dem Schicksal der Menschen Ninives gegenüber – er wünschte sich, dass Gott die Stadt für ihre Gottlosigkeit dem Erdboden gleich machen würde. Was Jona hingegen sehr wichtig war, war sein eigenes Wohlergehen. Er beschwerte sich darüber, dass Gott eine Pflanze, in deren Schatten Jona Platz genommen hatte, um sich den Untergang Ninives in Ruhe anzuschauen, verdorren ließ.
Gottes Liebe für die Stadt
Die Geschichte von Jona findet ihren Höhepunkt darin, dass Gott Jona zur Rede stellt. Und in diesem letzten Satz des Buches wird der Kontrast zwischen Jona und Gott deutlich: »Dir tut es Leid um den Busch, obwohl du nichts getan hast, um ihn entstehen zu lassen. Er wuchs in einer Nacht und verging über Nacht. Ninive aber hat über 120.000 Einwohner, die nicht zwischen links und rechts unterscheiden können, ganz zu schweigen von den vielen Tieren. Sollte ich eine so große Stadt nicht schonen?«
Genau genommen tat es Jona nicht leid um den Busch – er tat sich selber leid. Jetzt hatte er doch seinen Auftrag erfüllt, hatte er da nicht den Segen Gottes verdient? Daraus wird klar, dass Jona Gott nicht wirklich kannte. Denn Gott ist gnädig, er handelt an den Menschen nach Gnade, nicht nach Verdienst. Im Kontrast zu Jona bezeugte Gott sein Mitleid mit den Menschen in Ninive. Er hatte das, was Jona fehlte: Liebe. Gott war nicht gleichgültig. Er sah die Einwohner dieser Stadt als Bedürftige, denen er helfen wollte. Er fand keinen Gefallen daran, sie einfach zu vernichten. Er nennt – interessanterweise – die Einwohnerzahl Ninives: 120.000. Warum war ihm diese Zahl wichtig? Weil Gott den Menschen liebt, und Großstädte sind randvoll davon. Hundertzwanzigtausend Einwohner waren für Gott 120.000 Gründe, Ninive nicht zu zerstören.
Gottes Plan mit der Stadt
Viele Menschen in der westlichen Welt haben ein romantisches Verhältnis zu Natur und Einsamkeit. Hinzu kommt, dass unsere Gesellschaft stark individualistisch ist. Oft findet sich dieses Denken auch in den Gemeinden und Kirchen wieder. Und wir projezieren es auf unsere Vorstellung vom himmlischen Zustand, vom Paradies, vom Himmel auf Erden. Wir denken vielleicht an den Garten Eden, und stellen uns dabei wild gewachsene, vom Menschen unberührte Natur vor. Oder wir denken beim Himmel nur an ‚Jesus und mich, wie zwei Verliebte, für immer vereint‘. Doch die Bibel gibt uns ein anderes Bild. Nicht so romantisch, nicht so egozentrisch.
Am Ende der Bibel, im Buch Offenbarung, beschreibt Johannes, wie es aussehen wird, wenn der Himmel auf die Erde herabkommt, und sich mit ihr vereint: „Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen wie eine schöne Braut, die sich für ihren Bräutigam geschmückt hat.“ (Offenbarung 21,2; NL) Die Geschichte Gottes mit den Menschen beginnt in einem von Gott angelegten Obstgarten – aber sie endet mit einer Stadt. Der Baum des Lebens, der zuvor im Garten Eden stand, befindet sich nun mitten in der Stadt. Und die schöne Braut ist nicht eine einzelne Person, sondern eine Gruppe von Menschen. Hier ist die biblische Vision vom Himmel: viele Menschen leben gemeinschaftlich, organisiert zusammen, und Gott ist mitten unter ihnen. „Ich hörte eine laute Stimme vom Thron her rufen: »Siehe, die Wohnung Gottes ist nun bei den Menschen! Er wird bei ihnen wohnen und sie werden sein Volk sein und Gott selbst wird bei ihnen sein.(…) Kein Tempel war in der Stadt zu sehen, denn der Herr, Gott, der Allmächtige, und das Lamm sind ihr Tempel. Und die Stadt braucht keine Sonne und keinen Mond, damit es in ihr hell wird, denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet die Stadt, und das Lamm ist ihr Licht.“ (Offenbarung 21,3.22-23; NL)
Das ist Gottes himmlischer Plan für die Stadt. Aber sie spielt auch eine Rolle in seinem Plan für jetzt und hier. Das wird sichtbar, wenn man sich den Beginn und die frühsten Stunden der christlichen Gemeinde anschaut. Die Gemeinde wurde in einer Stadt geboren (Jerusalem). Einen Grund dafür sehen wir in Apostelgeschichte, Kapitel 2: „Zum Fest waren viele fromme Juden aus aller Welt nach Jerusalem gekommen.“ (Vers 5; HFA) Die Stadt war voll mit Menschen. Anlässlich des jüdischen Feiertags waren Juden aus der ganzen Welt nach Jerusalem gekommen. Dies war kein Zufall, sondern Gottes Strategie zur Ausbreitung des Evangeliums und damit der Gemeinde. Diese Menschen sahen und hörten das Wirken des Heiligen Geistes, sie wurden von Gott durch die Predigt angesprochen, und sie wurden zu Jesusjüngern.
Jesus hatte seinen Jüngern den Auftrag gegeben, das Evangelium in die Welt zu tragen. Die ersten Missionare, von denen die Apostelgeschichte berichtet, verfolgten dabei eine klare Strategie: sie gingen in die Provinzhauptstädte. Dort gründeten sie eine Gemeinde, die sich selbst vervielfachte. Auf diese Weise breitete sich das Evangelium rasend schnell im römischen Reich aus. Die damalige Welt war auf diese Weise schon einige Jahrzehnte nach Pfingsten mit dem Evangelium erreicht. Dass Paulus das Herz Gottes hatte, sieht man daran, dass er ständig von der brennenden Sehnsucht umgetrieben wurde: er wollte unbedingt nach Jerusalem, und dann nach Rom. Diese Großstädte ließen ihm keine Ruhe.
Es fällt uns leicht, uns darüber zu beschweren, wie gottlos unser Land ist. Wie wenig Christliches in unserer Kultur, in unserer Gesellschaft überlebt hat. Aber könnte diese Entwicklung nicht die logische Konsequenz davon sein, dass wir die Großstädte gefürchtet und gemieden haben?
Fazit: Rein in die Stadt!
Ich denke, die Antwort lautet ‚Ja‘. Wir haben uns von Angst und Unsicherheit, aber auch von religiöser Selbstgerechtigkeit leiten lassen, und dabei Gottes Herz und Gottes Plan völlig (aus den Augen) verloren. Es ist Zeit, umzukehren, und die zentrale Rolle anzuerkennen, welche die Stadt in seinem Herzen einnimmt. Bist du dabei?