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Treffen Nummer Zwei

Das nächste Vorab-Treffen für alle Interessierten findet diesen Sonntag, wieder von 17-19 Uhr, bei uns statt. Bitte gebt mir kurz Bescheid, wenn ihr vorbeikommt!

Aus unserer Dienstphilosophie reden wir dieses mal über unser Profil. Dazu gehören folgende drei Punkte:

1) Missional. Jesus sandte seine Jünger in die Welt, um ihn zu bezeugen. Beim missional sein geht es nicht in erster Linie um bestimmte Aktionen oder Dienste, sondern um eine Ausrichtung (nach außen) und um ein Selbstverständnis (die Gemeinde ist ein Missionar).

2) Kontextualisieren. Wir wollen das christliche Zeugnis mit unseren Worten und unserem Leben so ausdrücken, dass bei unserem Umfeld wirklich das ankommt, was Gott sagen möchte. Dazu müssen wir nicht nur den Kern unserer eigenen Botschaft, sondern auch unser Umfeld wirklich kennen und verstehen.

3) Stadtchristen. „In einer Stadt gibt es mehr Ebenbild Gottes pro m² als sonst irgendwo auf der Welt.“ (Tim Keller) Gott liebt Menschen. Städte sind voll davon. Deswegen liebt Gott Köln. Wir wollen unser Christsein bewusst im Kontext dieser Stadt und für diese Stadt leben.

PS: Es wird wieder Kinderbetreuung geben!

 

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Jesus und Kultur

Weil Jesus in derselben Gegend, in der er geboren und aufgewachsen war auch wirkte, übersieht man sehr leicht die Tatsache, dass er als Gottes auf die Erde gesandter Sohn trotzdem ein Missionar war. Das er dieses Selbstverständnis hatte, wird besonders im Johannesevangelium deutlich, in dem über 40 Mal berichtet wird, wie Jesus davon spricht, dass er vom Vater in die Welt gesandt ist.

Jesus wusste: Sein Auftrag war es, innerhalb der jüdischen Kultur Israels seiner Zeit Gottes Charakter zu offenbaren. Die ersten 30 Jahre seines Lebens auf der Erde verbrachte er damit, einer von ihnen zu werden. Nur so konnte er ein Mittler, ein Vermittler und ein Übersetzer zwischen der geistlichen Welt und seinem Umfeld sein. Dass er so arbeitete, sieht man an den Gleichnissen, die er erzählte, aber auch in seinem Verhalten im Umgang mit Menschen und in Einzelgesprächen. Lukas Kapitel 14 ist ein gutes Beispiel dafür.

An einem Sabbat war Jesus im Haus eines hochrangigen Pharisäers. Die Leute beobachteten ihn genau.“ (1)

Jesus nimmt am kulturellen Leben teil, indem er die Einladung eines leitenden Pharisäers annimmt. Die jüdische Kultur, in die ihn der Vater gesandt hatte, war stark religiös und moralistisch. Die Tischgemeinschaft des Pharisäers ist in gewisser Weise das symbolische Herz dieser Kultur.

Es befand sich dort ein Mann, dessen Gliedmaßen geschwollen waren. Jesus fragte die Pharisäer und Gesetzeskenner: »Ist es nun nach dem Gesetz erlaubt, Menschen am Sabbat zu heilen, oder nicht?« Als sie nicht antworten wollten, berührte Jesus den kranken Mann, heilte ihn und schickte ihn fort. Dann wandte er sich an sie und fragte: »Wer von euch würde am Sabbat nicht arbeiten, wenn es nötig ist? Wenn euer Sohn oder euer Ochse in einen Graben fällt, geht ihr dann nicht sofort hin und zieht ihn heraus?« Und wieder wussten sie keine Antwort.“ (2-6)

„Jesus begann“ (Elberfelder Übersetzung) = er initiiert ein Gespräch, in welchem er konfrontiert und lehrt. Seine Fragen sind so präzise, weil er die Menschen und ihren Umgang mit der eigenen Kultur so gut kannte. Er kannte auch ihre Doppelmoral und traf so mit seinen Fragen voll ins Schwarze: „sie konnten ihm darauf nicht antworten.“

Seine Lektion für seine Kultur: Barmherzigkeit (innerlich) statt äußerlicher Frömmigkeit. Er zeigt den Unterschied zum Reich Gottes auf.

Als Jesus sah, dass alle, die zum Essen gekommen waren, sich einen Platz am oberen Ende des Tischs aussuchten, sagte er zu ihnen: »Wenn du zu einem Hochzeitsfest eingeladen bist, strebe nicht nach dem besten Platz. Denn was ist, wenn jemand eingeladen wurde, der angesehener ist als du? Der Gastgeber wird sagen: `Lass diesen Mann hier Platz nehmen.´ Und dann musst du beschämt aufstehen und zum letzten Platz gehen, der übrig geblieben ist! Setz dich stattdessen zunächst ans untere Tischende. Wenn dein Gastgeber dich dann sieht, wird er kommen und sagen: `Freund, wir haben aber einen besseren Platz für dich!´ So wirst du vor allen anderen Gästen geehrt werden. Denn die Stolzen werden gedemütigt, die Demütigen aber geehrt werden.« Dann wandte er sich an seinen Gastgeber: »Wenn du mittags oder abends Gäste zum Essen einlädst, dann lade nicht deine Freunde, Brüder, Verwandten oder reichen Nachbarn ein. Denn sie werden es dir vergelten, indem sie dich ebenfalls einladen. Lade vielmehr die Armen, die Krüppel, die Gelähmten und die Blinden ein. Bei der Auferstehung der Gottesfürchtigen wird Gott dich belohnen, weil du Menschen eingeladen hast, die es dir nicht vergelten konnten.« Als ein Mann, der mit Jesus am Tisch saß, das hörte, rief er aus: »Gesegnet sind die, die am Festessen im Reich Gottes teilnehmen!« Jesus antwortete ihm mit folgendem Gleichnis: »Ein Mann bereitete ein großes Fest vor und verschickte viele Einladungen. Als alles vorbereitet war, sandte er seinen Diener aus, der den Gästen sagen sollte, dass es Zeit war, zum Fest zu kommen. Aber sie fingen alle an, Entschuldigungen vorzubringen. Einer sagte, er habe gerade ein Feld gekauft und wolle es nun begutachten; er bat, ihn deshalb zu entschuldigen. Ein anderer erklärte, dass er gerade fünf Paar Ochsen gekauft habe und sie prüfen wolle. Wieder ein anderer hatte gerade geheiratet und meinte, er könne deshalb nicht kommen. Der Diener kam zurück und berichtete seinem Herrn, was sie gesagt hatten. Da wurde der Herr zornig und sagte: `Geh hinaus auf die Straßen und Wege der Stadt und lade die Armen, die Krüppel, die Lahmen und die Blinden ein.´ Der Diener tat, was ihm aufgetragen worden war, und berichtete dann: `Wir haben noch Platz für weitere Gäste.´ Da sagte sein Herr: `Geh hinaus auf die Landstraßen und hinter die Hecken und bitte jeden, den du findest, zu kommen, damit das Haus voll wird. Denn keiner von denen, die ich zuerst eingeladen habe, soll auch nur das Geringste von dem bekommen, was ich für sie vorbereitet hatte.´« (7-24)

Er spricht gezielt die unterschiedlichen Gruppen an („zu den Eingeladenen“ in Vers 7, „zu dem, der ihn eingeladen hatte“ in Vers 12), bzw. reagiert spontan auf aufkommende Einwürfe (Verse 15-16). Dabei erklärt er ihnen, wie es aussehen müsste, wenn das Reich Gottes ihre fromme Kultur durchdringen würde, bzw. leitet sie dazu an, sich entsprechend zu verhalten (Verse 7-14). Er nimmt ihre Kultur und erklärt das Evangelium durch sie. Er erklärt, was es heißt, in dieser Kultur Christ zu sein.

Eine große Menschenmenge begleitete Jesus. Er wandte sich um und sagte zu ihnen: »Wer mir nachfolgen will, muss mich mehr lieben als Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern – ja, mehr als sein Leben. Sonst kann er nicht mein Jünger sein. Und ihr könnt auch nicht meine Jünger sein, wenn ihr nicht euer Kreuz auf euch nehmt und mir nachfolgt.“ (25-27)

Diese Aussagen (Hass für die Familie und Tragen des Kreuzes) sind eine bewusste Konfrontation, nicht nur der Kultur, sondern des Einzelnen innerhalb der Kultur. Wie drastisch diese Aussagen sind, wird einem klar, wenn man folgendes bedenkt:

  1. Der Stellenwert der Familie in der orientalischen Kultur. Seine Familie zu hassen ist die Kultur mit Füßen zu treten.
  2. Die Bedeutung des Kreuzes in dieser Kultur: erniedrigendes Symbol römischer Unterdrückung (gekreuzigt wurden vor Allem Nichtrömer und Sklaven) und beschämendes Symbol göttlichen Fluches. („Verflucht ist jeder, der am Kreuze hängt.“ 5. Mose 21,23)

Natürlich tritt Jesus hier nicht aus Unwissenheit in kulturelle Fettnäpfchen – die offensiven Implikationen seiner Aussagen sind im völlig bewusst und beabsichtigt. Er drückt sich bewusst so aus, um wachzurütteln und die Radikalität seiner Botschaft zu verdeutlichen. Er wollte sich nicht brav in die Kultur einfügen, sich darin auflösen und einfach ein Teil davon werden. Er macht sich durch seine Aussagen bewusst zum Stein des Anstoßes, um seinen rechtmäßigen Platz über der Kultur einzunehmen. Denn obwohl er als Mensch Teil und Produkt seines kulturellen Umfeldes war, steht er doch als Gottes Sohn über ihr.

Aber kommt nicht, ehe ihr nicht die Kosten berechnet habt. Denn wer würde mit dem Bau eines Hauses beginnen, ohne zuvor die Kosten zu überschlagen und zu prüfen, ob das Geld reicht, um alle Rechnungen zu bezahlen? Sonst stellt er vielleicht das Fundament fertig, und dann geht ihm das Geld aus. Wie würden ihn da alle auslachen! Sie würden sagen: `Das ist der, der mit dem Bau eines Hauses angefangen hat und dann nicht genug Geld hatte, es fertig zu stellen!´ Oder welcher König käme je auf den Gedanken, in den Krieg zu ziehen, ohne sich zuvor mit seinen Beratern zusammenzusetzen und zu erörtern, ob seine Armee von zehntausend Soldaten stark genug ist, die zwanzigtausend Soldaten zu besiegen, die gegen ihn aufmarschieren? Wenn er dazu nicht in der Lage ist, wird er dem Feind, wenn dieser noch weit weg ist, Unterhändler entgegenschicken und versuchen, einen Frieden auszuhandeln. Genauso kann auch niemand mein Jünger sein, ohne alles für mich aufzugeben.“ (28-33)

Das wird in seiner Erklärung deutlich: er fordert den ersten Platz im Herzen seiner Nachfolger – ein Platz, der nur Gott selbst vorbehalten ist. Dabei spricht er auf faszinierende Weise in die Kultur hinein. Es ist, als würde er sagen: „Die Familie ist für euch unglaublich wichtig. Aber ich bin wichtiger! Seid ihr bereit, das anzuerkennen, eure Werte von mir verschieben zu lassen? Mir gehört der Platz in euren Herzen/in eurer Kultur, der im Moment durch die Familie besetzt ist.“ und „Nationaler und religiöser Stolz sind euch unheimlich wichtig. Keiner trägt freiwillig das Symbol der Schande, es widerspricht eurem patriotischen Ehrgefühl. Aber ich bin wichtiger als eure Frömmigkeit oder euer Patriotismus. Seid ihr bereit, diese Dinge für mich aufzugeben, um mir nachzufolgen? Der Platz, den die Ehre in euren Herzen/eurer Kultur einnimmt – der steht mir zu. Werdet ihr ihn für mich räumen?“

Seine Interaktion mit den Menschen, sei es im privaten (1-24) oder im öffentlichen Bereich (25-33) zeigt sein tiefes Verständnis der jüdischen Kultur. Nur wenn man seine Botschaft vor diesem Hintergrund sieht, begreift man, wie hart, wie provokant und wie bohrend sie tatsächlich ist. Und man merkt, dass man sich anstrengen muss, um diese Worte für sein eigenes Herz und für die Menschen um sich herum anzuwenden.

Salz ist gut zum Würzen. Aber wie macht man es wieder salzig, wenn es seine Würzkraft verliert? Geschmackloses Salz eignet sich weder für den Boden noch als Dünger. Es wird weggeworfen. Wer bereit ist zu hören, soll zuhören und begreifen!« (34-35)

Eins ist sicher: diese Warnung sollte im Kontext des Kapitels verstanden und dann vom Einzelnen und der Gemeinde beachtet werden. Jesu Worte sind Salz in der Gesellschaft. Sie haben eine reinigende, durchdringende Kraft. Aber was soll Gott mit einer Gemeinde machen, die ihre Salzigkeit innerhalb der jeweiligen Kultur verloren hat – und das passiert, wenn sie sich nicht als in die Kultur gesandten Missionar versteht –? Diese Gemeinde ist kraftlos, sie bewirkt nichts, sie erfüllt ihren Zweck nicht und ist in diesem Sinne unnütz geworden. Ein hartes Urteil.


soulfire DNA – Teil 9: Nach außen gewandt (Teil 2)

Heute geht es darum, die Frage, was der missionale Ansatz konkret in einer Gemeinde bewirkt zu vertiefen. Dazu will ich Tim Keller zu Wort kommen lassen. Hier ein Auszug aus seinem Vortrag „The missional Church“:

 

 

 

Die Elemente einer missionalen Gemeinde

1. Sie spricht die Sprache der Menschen

  • In stark christlich geprägten Kulturen gibt es kaum Unterschiede in der Wortwahl innerhalb oder außerhalb der Gemeinde. (…) Biblische Begriffe sind ‚drinnen wie draußen‘ bekannt. Aber in einer missionalen Gemeinde müssen Begriffe erklärt werden.
  • Die missionale Gemeinde vermeidet ‚kanaanäische‘ Sprache, stilisierte Gebetssprache, unnötigen evangelikalen, frommen Jargon und veraltete Ausdrücke, durch die eine geistliche Atmosphäre geschaffen werden soll.
  • Die missionale Gemeinde vermeidet die „wir/sie-Sprache“, verachtungsvolle Witze, bei denen sich über Menschen mit anderen politischen oder religiösen Ansichten lustig gemacht wird, sowie herablassende und respektlose Kommentare über diejenigen, die sich von uns unterscheiden.
  • Die missionale Gemeinde vermeidet sentimentales, blumiges, inspirierendes Gerede. Statt dessen lässt sie sich mit der freundlichen, bescheidenen aber fröhlichen Ironie, die das Evangelium schafft auf die Kultur ein. Demut + Freude = ‚gospel irony‘ und Realismus.
  • Die missionale Gemeinde vermeidet es, jemals so zu sprechen, als wären keine Nichtchristen gegenwärtig. Wenn du so redest (im Gespräch und vor Menschen), als ob Leute aus jedem Teil deiner Wohngegend anwesend wären (und nicht nur verstreute Christen versammelt sind), werden sich früher oder später immer mehr Menschen aus deiner Umgegend einfinden bzw. eingeladen werden.
  • Wenn all diese gerade aufgelisteten Dinge nicht aus einem Herz fließen, dass wirklich demütig, mutig, und vom Evangelium verändert ist, sind sie nur Marketingstrategien und Manipulationsversuche.

 

2. Sie taucht in die Kultur ein und erzählt deren Geschichten mit dem Evangelium neu.

  • In einer stark christlich geprägten Kultur ist es möglich, bereits ‚christianisierte‘ Menschen zu ermahnen, einfach das zu tun, von dem sie wissen, dass sie es tun sollten – auch wenn man sich kaum oder gar nicht mit den Menschen beschäftigt, ihnen zugehört oder versucht hat, sie zu überzeugen. Es wird eher ermahnt – und dabei häufig über Schuldgefühle gearbeitet. In einer missionalen Gemeinde geht man beim Predigen und Kommunizieren immer davon aus, dass Skeptiker anwesend sind. Deswegen greift man ihre Geschichten auf, anstatt nur von ‚alten Zeiten‘ zu schwärmen.
  • In die Kultur einzutauchen bedeutet, mit der Literatur, Musik, Theater, etc. der Kultur sehr vertraut zu sein und damit zu sympathisieren, weil sie von den Hoffnungen, Träumen, Heldengeschichten und Ängsten erzählen.
  • In der alten Geschichte der Kultur ging es darum, eine gute Person zu sein, ein(e) gute(r) Vater/Mutter/Sohn/Tochter zu sein, ein anständiges, barmherziges, gutes Leben zu führen. In der neuen Geschichte geht es a) darum, frei, selbstbestimmend und authentisch zu sein (Thema: Befreiung von Unterdrückung), und b) darum, die Welt für alle Menschen zu einem sicheren Ort zu machen (Themen: Einbeziehen des ‚Anderen‘ und Gerechtigkeit).
  • Das Neuerzählen dieser Geschichten bedeutet in diesem Fall, dass man aufzeigt, wie wir nur in Christus von der Sklaverei befreit sein und den Anderen ohne Ungerechtigkeit aufnehmen können.

 

3. Sie schult Laien theologisch für öffentliches Leben und Beruf.

  • In einer stark christlich geprägten Kultur kann man es sich leisten, die Leute nur in den Bereichen Bibelstudium, Evangelisation und persönliche Frömmigkeit zu schulen, weil sie im öffentlichen Leben (Arbeit, Nachbarn, usw.) nicht mit grundlegend nichtchristlichen Werten konfrontiert werden. In einer missionalen Gemeinde erhalten die Laien eine theologische Schulung, um für alles eine christliche Sichtweise zu entwickeln und um als Christen in ihrem Beruf aktiv sein zu können. Dabei lernen sie a) welche kulturellen Handlungsweisen in die Kategorie ‚allgemeinen Gnade‘ gehören und deswegen übernommen werden sollten, b) welche Handlungsweisen dem Evangelium entgegenstehen und deswegen abgelehnt werden müssen und c) welche Handlungsweisen überarbeitet und angepasst werden können.
  • In einer missionalen Gemeinde wird das Leben der Laien, die durch ihren christlichen Lebens- und Arbeitsstil die Kultur erneuern und verändern, als gleichwertige ‚Reichsgottesarbeit‘ und geistlicher Dienst anerkannt – auf der gleichen Ebene wie der traditionelle Predigt- oder Lehrdienst.
  • Schlussendlich müssen Christen im öffentlichen Raum im Umgang mit denjenigen, von denen sie sich stark unterscheiden das Evangelium durch echte, biblische Liebe und Toleranz leben. Diese Toleranz sollte mindestens so groß sein wie die, mit der uns Christen von Menschen mit grundlegend anderer Sichtweise begegnet wird. Der Vorwurf der Intoleranz ist vielleicht das bezwingendste Argument gegen das Evangelium in der post-christlichen, westlichen Welt.

 

4. Sie schafft eine christliche Gemeinschaft, die eine überraschende Gegenkultur darstellt.

  • In einer stark christlich geprägten Kultur versteht man unter ‚Gemeinschaft‘ im Grunde genommen einfach eine Reihe von stärkenden Beziehungen, Unterstützung und Fürsorge. Das ist natürlich auch notwendig. Doch in einer missionalen Gemeinde muss eine christliche Gemeinschaft noch weiter gehen, und eine Art Gegenkultur formen, um der Welt zu zeigen, wie grundlegend anders eine christliche Gesellschaft im Bezug auf Sex, Geld und Macht ist.
  • Thema Sex: Wir vermeiden sowohl die Vergötterung von Sex, wie man sie in den säkularen Teilen der Gesellschaft vorfinden, als auch die Furcht vor diesem Thema, wie sie in den traditionellen Teilen der Gesellschaft vorkommt. Außerdem reagieren wir auf die Menschen, deren sexuelle Lebensgestaltung anders aussieht mit Liebe statt mit Feindschaft oder Angst.
  • Thema Geld: Wir werben für radikal großzügigen Einsatz in den Bereichen Zeit, Geld, Beziehungen und Lebensraum für soziale Gerechtigkeit und die Bedürfnisse der Armen, der Immigranten und der finanziell und körperlich Schwachen.
  • Thema Macht: Wir setzen uns für Machtteilung und Beziehungsbau zwischen Rassen und Klassen die überhaupt nicht zum Leib Christi gehören.
  • In einfachen Worten: eine Gemeinde muss sich noch intensiver und konkreter in den Bereichen Barmherzigkeit und soziale Gerechtigkeit engagiert sein als die traditionellen liberalen Kirchen und noch intensiver und konkreter in den Bereichen Evangelisation und Bekehrung aktiv sein als die traditionelle konservativen Gemeinden. Diese Gemeinde soll (…) in keine Schublade passen. Sie nimmt dem Außenstehenden die Möglichkeit, sie als liberal oder konservativ zu kategorisieren (und abzustempeln). Nur diese Art von Gemeinde hat in der post-christlichen westlichen Welt überhaupt eine Chance.

 

5. Sie praktiziert in der Öffentlichkeit so viel wie Möglich christliche Einheit.

  • In einer stark christlich geprägten Kultur, wo ‚jeder ein Christ war‘, war es vielleicht notwendig, dass sich eine Gemeinde darüber definierte, dass sie sich von anderen Gemeinden abgrenzte. Um also eine Identität zu entwickeln, musste man sagen „Wir sind nicht so wie diese andere Gemeinde/Kirche bzw. diese anderen Christen dort!“.
  • Heutzutage ist es jedoch viel aufschluss- und hilfreicher, wenn eine Gemeinde sich im Kontrast zu ‚der Welt‘ definiert, also den Werten einer nichtchristlichen Kultur. Es ist unglaublich wichtig, dass wir nicht unsere Zeit damit verschwenden, andere Gemeinden und Kirchen zu kritisieren und niederzumachen. Tun wir das, spielen wir denjenigen in die Arme, die das Christentum als intolerant ablehnen.
  • Während wir uns vor Ort hinter die Konfessionen stellen, die viele unserer Unterscheidungsmerkmale teilen, müssen wir uns gleichzeitig auch zu anderen Gemeinden und Kirchen ausstrecken und sie unterstützen. Natürlich werden dabei auch heikle Fragen aufkommen, aber wir sollten die Zusammenarbeit als gemeinsames Ziel verfolgen.

soulfire DNA – Teil 8: Nach außen gewandt (Teil 1)

Was ist eine nach außen gewandte Gemeinde? Wie entsteht sie? Und warum ist diese Eigenschaft so wichtig? Um diese Fragen für die Gemeinde zu beantworten, will ich am Beispiel eines einzelnen Menschen erklären, welcher Prozess da abläuft, welche Kraft am Werk ist, und welches Ziel verfolgt wird.

Wie der Mensch tickt.

Jeder Mensch lebt für sich selbst. Bei allem, was er tut, ist er letztendlich auf sich selbst ausgerichtet. Bonhoeffer schrieb: „Sünde ist die Verkehrung des menschlichen Willens (Wesens) in sich selbst. (…) Als sündiger Akt ist jede Entscheidung, die in selbstsüchtigem Sinne fällt, zu beurteilen.“ Das heißt, Sünde ist vor Allem eine Ausrichtung – die Ausrichtung auf sich selbst.

Das kann in der Praxis ganz unterschiedlich aussehen. Da gibt es auf der einen Seite diejenigen, welche die Selbstverwirklichung zur höchsten Tugend erhoben haben. Bei denen ist das wichtigste, das höchste Gut, dass ‚man seinen eigenen Weg geht‘. Persönliche Erfüllung und persönliches Glück sind die großen Lebensziele. Zum Erreichen dieser Ziele nutzen sie zwei Mittel: Selbstfindung (eigene Persönlichkeit, Wünsche und Träume entdecken) und Selbstbefreiung (Abschütteln aller inneren oder äußeren Einschränkungen). Diese Menschen haben eine starke Sehnsucht nach Freiheit, Erfolg und Spaß. Diese Lebensinhalte verfolgen sie pragmatisch: was ihnen hilft, diese Sehnsüchte zu stillen, darf bleiben (da kann auch die Religion zu gehören), was ihnen im Weg steht, fliegt über Bord. Sie haben offensichtlich ein egozentrisches Weltbild.

Auf der anderen Seite ist die ‚alte Schule‘. Das sind die Menschen, welche versuchen, ohne Reflexion und Rebellion glücklich zu werden. Man versucht, sich anzupassen, einzufügen und unterzuordnen – sei es in der Familie, der Gesellschaft, dem Staat oder der Kirche. Man tut ‚das Gute‘ und lässt ‚das Böse‘. Oberflächlich betrachtet das krasse Gegenteil zur anderen Seite. Doch die geistliche Dynamik, die Ausrichtung, die dahinter steht, ist die selbe. Der ‚gute Mensch‘ ist genauso auf sich selbst ausgerichtet. Für ihn sind die guten Taten, das ‚brav Sein‘, sogar die Frömmigkeit nur Mittel zum Zweck. Er sehnt sich nach Geborgenheit und Sicherheit. Und das versucht er, für sich zu erreichen, indem er sich an die gesellschaftlichen Normen hält.

Verlorenheit bedeutet u. a., dass der Mensch (egal, zu welcher Gruppe er tendenziell eher gehört) nur noch sich selbst hat. „Und jeder Gemütszustand, jedes sich Verschließen des Geschöpfes in dem Verließ seines eigenen Gemüts, ist am Ende Hölle.“ (C. S. Lewis) Er kann nicht anders, als sich um sich selbst zu drehen. Selbst bei den Persönlichkeiten, die sich völlig für andere aufopfern, kann es sein, dass sie es letztendlich für das eigene Gewissen, für das eigene Seelenheil tun. Der Mensch ist „in sich selbst gekrümmt“ (Luther), er „kann nicht nicht sündigen“ (non posso non peccare – Augustinus).

„Der Mensch tendiert immer dazu, sich nach innen anstatt nach außen zu wenden, weil er sich selbst ins Zentrum des Universums stellt und nicht Gott. (…) Das ist der Mensch in seiner Rebellion gegen Gott.“ (Francis Schaeffer)

Was das Evangelium bewirkt.

Jesus ist gekommen und gestorben, um uns aus diesem Gefängnis zu befreien. Durch seinen Tod am Kreuz wird Gottes radikale Liebe zu uns deutlich. Und die Botschaft von dieser Liebe zerbricht unsere Ketten. Gott ist Liebe. Er hat uns zuerst geliebt. Als wir noch Sünder waren, ist er für uns gestorben. Wenn wir das glauben, bewirkt diese Liebe in uns Gegenliebe. Sie befähigt uns, das zu tun, was wir vorher nicht tun konnten: wir hören auf, selbstzentriert zu sein, und beginnen, uns um Gott zu drehen. Und so wird auch selbstlose Nächstenliebe möglich. Luther beschreibt diesen Vorgang wunderbar:

„Der Glaube nämlich hat die Art an sich, dass er von Gott alles Gute erwartet und allein auf ihn sich verlässt. Aus diesem Glauben heraus erkennt dann der Mensch, wie Gott so gut und gnädig ist, und aus dieser Erkenntnis heraus wird sein Herz so weich und barmherzig, dass er jedermann auch gerne so wohl tun möchte, wie er fühlt, dass ihm Gott getan hat. So bringt er seine Liebe zum Ausdruck und dient seinem Nächsten von ganzem Herzen, mit Leib und Leben, mit Gut und Ehre, mit Seele und Geist und gibt alles für ihn dran, wie Gott ihm getan hat. Darum sieht er sich auch nicht nach gesunden, hohen, starken, reichen, edlen, heiligen Leuten um, die ihn nicht brauchen, sondern nach kranken, schwachen, armen, verachteten, sündigen Menschen, denen er nützlich zu sein vermag, an denen er sein weiches Herz üben und tun kann, wie Gott ihm getan hat.“ (Luther)

Von der katholischen Seite bekommen wir diese Erklärung von Papst Benedikt XVI: „Im Gegensatz zu der noch suchenden und unbestimmten Liebe ist darin die Erfahrung von Liebe ausgedrückt, die nun wirklich Entdeckung des anderen ist und so den egoistischen Zug überwindet, der vorher noch deutlich waltete. Liebe wird nun Sorge um den anderen und für den anderen. Sie will nicht mehr sich selbst — das Versinken in der Trunkenheit des Glücks –, sie will das Gute für den Geliebten: Sie wird Verzicht, sie wird bereit zum Opfer, ja sie will es.“ (Deus Caritas Est)

Das Evangelium von Jesus Christus befreit den Menschen, der sich nur um sich selber drehen konnte, und befähigt ihn dazu, anderen Menschen zu dienen. Die Motivation ist nicht Angst vor Strafe, oder die Hoffnung, die eigene Seele retten zu können, sondern Dankbarkeit und Freude über die unverdiente Liebe Gottes. Am Anfang des Weges mit Jesus ist das Realisieren und das Umsetzen dieser Freiheit oft noch ziemlich schwach. Jesus nachzufolgen heißt, in dieser Liebe praktisch zu wachsen. So funktioniert also das Evangelium: es kommt zu einem selbstzentrierten Menschen und macht ihn zu einem Gott-zentrierten Menschen, der für seine Mitmenschen lebt.

Was das für die Gemeinde bedeutet.

Leider fällt es häufig schwer, den gedanklichen Sprung vom Einzelnen zur Gruppe zu schaffen. Selbst wenn wir kapiert haben, wie wir als Menschen ticken, und was das Evangelium beim Einzelnen bewirkt, ist uns oft nicht klar, dass wir diese Erkenntnis dann auch auf die Gemeinde übertragen müssen:

Genau wie der einzelne Mensch hat auch eine Gemeinde die natürliche, sündhafte Tendenz zur Selbstzentriertheit. Passt man nicht auf, dreht sich die Gemeinde nur um sich selbst. Sie existiert dann zum Selbstzweck. Jedem soll es ‚geistlich gut gehen‘, wobei geistliche Reife eigentlich ganz anders aussieht. Natürlich soll die Gemeinde dazu da sein, Christen zu stärken, aufzubauen und auszurüsten, damit sie im Alltag als Christen leben können. Aber starke, lebendige Christen sind eigentlich nicht das Endziel, sondern Mittel zum Zweck.

Um dem natürlichen, aber falschen Denken entgegenzuwirken, muss man bewusst das Evangelium auf die Gemeinschaft anwenden. Man muss sich mit der Frage beschäftigen, wozu das Evangelium uns als Gemeinde machen will. Wie sollte das Evangelium der Gnade Gottes eine Gemeinde formen?

Die missionale Gemeinde.

Es gibt evangelistische Gemeinden, missionarisch aktive Gemeinden und missionale Gemeinden. Bei den ersten zwei Modellen stehen eigentlich eher Aktivitäten und spezielle Dienste im Vordergrund: evangelistische Veranstaltungen und Weltmission werden ermutigt und unterstützt. Und diese Dinge sind natürlich notwendig und wichtig. Doch die missionale Gemeinde geht noch etwas weiter – oder sollte ich sagen: tiefer? Bei der missionalen Gemeinde geht es überhaupt nicht in erster Linie um Aktivitäten oder Methoden, sondern um ein theologisches Selbstverständnis: der Platz der Gemeinde in der Missio Dei.

„Missional meint eine Art Glauben und Gemeinde zu leben, die sich an der Mission Gottes orientiert und mitten im Leben stattfindet.“ (Stefan Lingott)

„Die zentrale Realität ist weder Wort noch Tat, sondern das komplette Leben der Gemeinschaft: befähigt durch den Geist, um in Christus zu leben, seine Leidenschaft zu teilen, und an der Kraft seiner Auferstehung teilzuhaben.“ (Lesslie Newbigin)

Missio Dei ist ein lateinischer Begriff, mit dem man ausdrücken will, dass Gott ein sendender Gott ist: Der Vater sandte den Sohn indie Welt. Der Vater und der Sohn sandten den Heiligen Geist in die Welt. Und Jesus sandte seine Jünger in die Welt: „Wie der Vater mich gesandt hat, so sende ich euch.“ (Johannes 20,21) Gott ist ein sendender Gott. Bei diesem Denken steht diese Eigenschaft Gottes, sein Handeln im Mittelpunkt:

„Es ist nicht die Gemeinde Gottes, die eine Mission hat, sondern der missionarische Gott, der eine Gemeinde hat.“ (Rowan Williams)

Wenn diese Realität eine Gemeinde wirklich packt, hört sie auf, sich um sich selbst zu drehen. Sie wird verstehen, dass sie in die Welt gesandt ist, um durch Verkündigung, Zeugnis, Gottesdienst und praktische Dienste dieser Welt das Heil Gottes zu bringen. Nicht nur ist jeder einzelne Christ ein Missionar für sein Umfeld – die Gemeinde ist ein Missionar. Und als guter Missionar befasst sie sich mit folgenden Fragen:

  1. Was genau ist meine Botschaft?
  2. Was genau ist meine Mission?
  3. Wem soll ich diese Botschaft bringen/dienen?
  4. Werden sie die Botschaft verstehen?
  5. Sprechen wir die selbe Sprache?
  6. Haben wir das gleiche Weltbild?
  7. Welche Hindernisse gibt es?
  8. Wie kann ich lernen, unter ihnen zu leben, ohne meine Identität zu verraten?
  9. Welche Teile ihrer Kultur kann ich übernehmen, welche verändern, welche ablehnen?

Dabei folgt die Gemeinde dem Vorbild Jesu, der durch seine Menschwerdung und seine 30 Jahre der Vorbereitung genau durch diesen Prozess gegangen ist, um die Menschen zu erreichen. Die Welt um uns herum ändert sich. Deswegen muss sich die Gemeinde diese Fragen immer wieder stellen, um Gottes Auftrag treu bleiben zu können.

Als nächstes werde ich einen Eintrag posten, in dem Tim Keller erklärt, wodurch sich eine missionale Gemeinde in einer westlichen Großstadt in der Praxis auszeichnet, also wie sie diese Fragen beantwortet.