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Der Vorrang der Theologie

Für denjenigen, der Gott nicht kennt, wird die Welt zu einem seltsamen, verrückten, schmerzhaften Ort, und das Leben darin zu einer enttäuschenden und unschönen Sache. Wenn du das Studium von Gott außer Acht lässt, verurteilst du dich damit selbst dazu, mit verbundenen Augen durchs Leben zu stolpern, ohne zu wissen, wohin du gehst und was dich umgibt. Auf diese Weise kannst du dein Leben verschwenden und deine Seele verlieren.“ (J. I. Packer; „Gott erkennen“)

Was ist Theologie – und warum ist sie so wichtig?

1) Theologie ist universell. Theologie ist die Lehre von Gott. Dabei ist der Charakter Gottes (Wer/wie ist Gott?) der Ausgangspunkt. Aber die christliche Theologie umfasst nicht nur das Gottesbild, sondern auch das Menschenbild und die gesamte Weltanschauung der Bibel. Letztendlich beantwortet die Theologie alle Fragen danach, wie man als Christ denken und handeln sollte.

Viele Christen denken, Theologie sei nur was für Fachleute, manche halten sie sogar für schädlich. Der normale Christ, so die Überzeugung, brauche sich nicht den Kopf über theologische Fragen zu zerbrechen. Weil aber die Theologie, wie gesagt, alle wichtigen und großen Fragen des Glaubens bespricht, beruhen letztendlich alle Glaubensinhalte und -praktiken auf theologischen Überzeugungen. Deswegen läuft es in der Praxis dann darauf hinaus, dass der normale Christ es für ausreichend hält, bei einem sehr grundlegenden Wissen über die Aussagen der Bibel stehen zu bleiben.

In der Einleitung zu seinem Buch über Biblische Theologie trifft Charles Ryrie den Nagel auf den Kopf, indem er beobachtet:

Theologie betrifft jeden. Niemand kommt ohne Theologie aus. In gewissem Sinne ist jeder Mensch Theologe. Und gerade hier liegt das Problem. Es geht nicht darum, ob wir Laien- oder Berufstheologen sind. Problematisch ist es nur, ein unkundiger oder gedankenloser Theologe zu sein. Darum muss sich eigentlich jeder mit Theologie befassen.

Theologie bedeutet, über Gott nachzudenken und seine Erkenntnisse in Worte zu kleiden. […] Grundsätzlich aber ist jedermann Theologe. Sogar der Atheist hat eine Theologie. Er denkt über Gott nach, leugnet seine Existenz und drückt dies manchmal in seinem Reden und in seinem Handeln aus.” (Charles C. Ryrie; “Die Bibel verstehen”)

Jeder ist – in gewissem Sinne – ein Theologe, und jeder hat eine Theologie. Deswegen hat Alister McGrath Recht. Er schreibt:

Wenn du keine gute Theologie hast, hast du eine schlechte Theologie.“ und „Schlechte Theologie richtet Schaden an.“

Theologie ist also eigentlich die gesamte christliche Lehre. Deswegen betrifft die Frage nach der Theologie jeden Christen. Sobald ich einen Christen frage, wie er in einem bestimmten Punkt denkt, bzw. was er in einem bestimmten Punkt glaubt, frage ich ihn nach seiner Theologie. Und die Frage ist, ob dieser Christ, gemessen an der Bibel, eine gute oder eine schlechte Theologie hat. Meine Theologie bestimmt mein Leben.

Alles, was wir als einzelne Christen und als Gemeinde tun, basiert auf Theologie, und rechtfertigt sich mit Theologie. Selbst, wenn man denkt „Wir machen das jetzt einfach mal so wie immer“, oder einfach aus dem Bauch heraus entscheidet, handelt man nach einer bestimmten theologischen Überzeugung – in dem Fall, dass Gott einen Menschen vor Allem durch Traditionen bzw. Gefühle leitet.

2) Theologie ist spirituell. Was wir im Bezug auf Gott glauben, wird unsere Beziehung mit ihm bestimmen. Alister McGrath schreibt: „Theologie ist Spiritualität.“ Laut Edward Farley ist Theologie „nicht bloß objektive Wissenschaft, sondern Gott persönlich zu kennen und mit den Dingen Gottes vertraut zu sein.“

Wenn das stimmt, müssen wir aufhören, Theologie bloß als Fachbereich der akademischen Welt einzuordnen. Statt dessen sollten wir sie als essentiellen Teil einer Gottesbeziehung sehen. Um eine gute Ehe zu führen, muss ich es als Teil meiner Lebensaufgabe sehen, meinen Partner immer besser kennenzulernen. Weil ich meinen Partner liebe, interessiert es mich, wie er ist, wie er denkt, warum er so handelt und empfindet, wie er es tut. Dabei ist der gemeinsam gelebte Alltag der Kontext für dieses ‚Studium‘. Es wäre absurd, wenn ich keine Beziehung mit meinem Partner mehr leben könnte, weil ich so beschäftigt damit wäre, richtige Informationen über ihn zu sammeln. Eine lebendige Beziehung mit Gott durch Jesus Christus ist der Rahmen für meine Theologie.

Zwei Dinge tun also Not:

Zum einen ein ehrliches Eingeständnis der Verbindung zwischen Glauben und Handeln. Wir müssen reflektieren, um herauszufinden, nach welchen Überzeugungen wir tatsächlich leben, welche Theologie wir haben. Wir dürfen keine Angst davor haben, alles prüfend und selbstkritisch zu hinterfragen. Packer gebraucht den Begriff des „Theologisierens“. Damit meint er, dass wir alles gedanklich in Bezug zu Gott und den großen Themen der Bibel bringen, uns also immer fragen: Was sagt das über Gott aus? und: Passt das zu den Hauptaussagen der Heiligen Schrift?

Auf der anderen Seite müssen wir sehr aufpassen, dass wir unser Studium Gottes nicht in einem moralischen Vakuum betreiben. Wissen über Gott verpflichtet. Es soll nicht zur intellektuellen Befriedigung, sondern zur Heiligung dienen. Theologie ist Mittel zum Zweck. Sie ist dazu da, uns dazu zu befähigen, Gott so zu kennen, wie er gekannt werden will, und so für ihn zu leben, wie er das möchte: „Das Endziel der Weisung aber ist Liebe aus reinem Herzen und gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben.“ (1. Timotheus 1,5)

Theologie im persönlichen Leben

„Und es fragte einer von ihnen, ein Gesetzesgelehrter, und versuchte ihn und sprach: Lehrer, welches ist das größte Gebot im Gesetz? Er aber sprach zu ihm: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Verstand.“ (Matthäus 22,35-37)

In dieser Begebenheit wird Jesus nach seiner Theologie gefragt: Worauf kommt es Gott letztendlich an? Jesus‘ Antwort: Gott will, dass wir ihn mit ganzem Herzen, ganzer Seele und ganzen Verstand lieben. Darauf läuft alles hinaus, darin kann man alles andere zusammenfassen.

Gott mit ganzem Herzen und ganzer Seele zu lieben, darüber wird in evangelikalen Kreisen relativ viel gesprochen. Erfahrungen mit Gott zu haben, sich ihm hinzugeben, von ihm verändert zu werden – das sind allgegenwärtige Themen. Vergleichsweise wenig spricht man davon, wie man Gott eigentlich mit ganzem Verstand lieben kann.

Gott mit unserem Verstand zu lieben bedeutet, dass wir ihn, das Objekt unserer Liebe, so gut wie möglich verstehen. Und genauso, wie Gott unser ganzes Herz will, möchte er auch unseren ganzen Verstand. D. h., wir sollen alle kognitiven Fähigkeiten dazu einsetzen, ihn zu erforschen: Wie ist er? Was will er? Wie denkt er?

Im freikirchlichen Bereich sind wir oft skeptisch dem Verstand gegenüber. Immerhin warnt uns die Bibel ja: „Vertraue von ganzem Herzen auf den Herrn und verlass dich nicht auf deinen Verstand.“ (Sprüche 3,5) Weil unser Verstand uns davon abrät, uns ganz auf Gott zu verlassen, halten wir ihn für ein generelles Hindernis in unserem Weg mit Gott.

Und der Verstand soll auch nicht auf dem Thron sitzen. Aber wir müssen aufpassen, dass wir nicht das Kind mit dem Badewasser ausschütten! Denn auch wenn der Verstand unser Gegner sein kann, wenn es darum geht, Gott zu vertrauen, sollte er eigentlich ein Werkzeug sein, dass wir einsetzen, um ihn mehr lieben zu können.

Luther schrieb, das ganze Leben des Christen solle eine ständige Umkehr sein. Das Wort, das im Neuen Testament mit „Buße tun“ übersetzt wird, bedeutet wörtlich übersetzt „Veränderung des Denkens“. Wir sollen also unser komplettes Leben u. a. damit beschäftigt sein, umdenken zu lernen.

Dadurch, dass wir uns mit Theologie befassen, werden Gewissen und Herz informiert und trainiert. Nur so können sie ihre Aufgabe erfüllen, Gottes Stimme in unserem Leben zu sein. Deswegen spricht Paulus von einer Erneuerung des Verstandes. Die ist notwendig, um für Jesus leben zu können. Weil wir als Sünder geboren werden, und kein Mensch von alleine so denkt wie Gott, müssen wir uns ständig schulen und korrigieren lassen.

Theologie in der Gemeinde

Welche Rolle sollte die Theologie in einer Gemeinde spielen? Im 1. Korintherbrief ermutigt Paulus die Christen in der Stadt Korinth: „Liebe Brüder, seid nicht Kinder, wenn es ums Verstehen geht; sondern seid Kinder, wenn es um Böses geht; im Verstehen aber seid vollkommen [od erwachsen].“ (14,20; LUT)

In diesem Kapitel geht es um die Frage, welche übernatürliche Gabe im Gottesdienst am wichtigsten ist. Paulus macht seine Antwort an der Nützlichkeit fest, also daran, welche Gabe am meisten geistlich bewirken kann. Die Korinther waren begeistert von der übernatürlichen Manifestation die Sprachengebet genannt wird. Dabei betet jemand in einer Sprache, die er selber nie gelernt hat, und die auch die anderen Gottesdienstbesucher nicht verstehen können (es sei denn, jemand anderes hat die übernatürliche Befähigung, das Gebetete zu übersetzen).

Paulus hält das Sprachengebet zwar für wichtig, aber nicht so sehr für den Gottesdienst. Für ihn war es wichtiger, dass die Menschen das Gesagte verstehen können. Deswegen spricht er sich für die Gabe der Prophetie (jemand gibt das spezifische Reden Gottes weiter und spricht Worte der Ermutigung, Ermahnung und des Trostes) aus. Man bemerke die Rolle, die in Paulus‘ Theologie der Verstand einnahm! Lieber in einem Gottesdienst fünf Worte sagen, die Sinn machen, als 10.000, die den Verstand komplett umgehen – das nenne ich eine klare Position.

Diese Position bestätigt den Hauptweg, den Gott nimmt, um in einem Gottesdienst an den Menschen zu wirken: durch den Kopf ins Herz.

Theologie und Predigt

Ein gesundes Verständnis vom Wirken Gottes muss sich natürlich vor Allem an einem Ort bemerkbar machen: in der Kanzel. Der Großmeister der Kanzel, Charles Haddon Spurgeon bemerkte:

“Wortschwall ist leider oft das Feigenblatt, das theologische Unwissenheit verdecken muss; man bietet glänzende Satzgefüge anstatt gediegener Lehre und rednerische Floskeln anstatt kräftiger Gedanken.”

Oft haben wir Angst, die Menschen mit zu viel Inhalt zu erschlagen. Während dies natürlich auch ein Extrem ist, vor dem man sich als Prediger hüten muss, kann man auch auf der anderen Seite vom Pferd fallen, und die Schäfchen hungern lassen. Es ist die Hauptaufgabe des Predigers, die Menschen mit geistlicher Nahrung zu versorgen. Geistliche Nahrung besteht aus Theologie, oder wie Spurgeon es nennt: gediegene Lehre und kräftige Gedanken. Und unsere Befürchtungen, gerade junge Menschen abzuschrecken, scheinen unbegründet. In seinem Buch „Vintage Church“ schreibt Mark Driscoll, dass die Gemeinden am meisten wachsen und den jüngsten Altersdurchschnitt haben, in denen lange und gehaltvoll gepredigt wird.

Ein weiterer Sensei der Predigtkunst drückt mein Anliegen auf eine Weise aus, der nichts hinzuzufügen bleibt:

„Predigen, dass ist wenn Theologie durch einen Menschen kommt, der für Gott brennt.“ (Martyn Lloyd-Jones)

Theologie und Anbetungsmusik

Aber nicht nur die Kanzel, auch die Anbetungszeit einer Gemeinde leidet unter schlechter und schwacher Theologie. Das beginnt damit, dass manche Christen (vielleicht besonders in den Gemeinden, deren Anbetungsverständnis charismatisch geprägt ist) die Anbetungszeit viel zu hoch einschätzen.

Das wird in dem sichtbar, was wir beten, wenn wir Gott um eine gesegnete Anbetungszeit bitten wollen. Da beten wir darum, dass Gott den Anbetungsleiter oder die Lieder gebraucht, um uns vor seinen Thron/in seine Gegenwart zu bringen. Aber „wenn Musik uns in die Gegenwart Gottes bringen könnte, hätte Gott einen Musiker geschickt, und keinen Retter.“ (Vaughan Roberts) Der Anbetungsleiter ist kein Mittler zwischen Gott und den Menschen. Diese Stelle ist schon vergeben. Die Lieder sind auch nicht das Opfer, durch welches die Kluft zwischen uns und Gott überbrückt werden kann. Nur das Blut von Jesus konnte diese Brücke schlagen.

Und auch der theologische Inhalt unseres Liedguts ist relativ dünn und beschränkt sich auf (oft nicht zusammenhängende) Auflistungen von Titeln und Eigenschaften Gottes. Manche Lieder kommen mir so vor, als hätte jemand eine Software entwickelt, die nach dem Random-Prinzip Phrasen und Satzteile zusammenwürfelt und sich dabei nicht am Inhalt, sondern nur am Rhythmus orientiert. Oder wir singen Liebesbeteuerungen, die eigentlich nur in den schönsten und emotionalsten Momenten angebracht wären. Obwohl diese Lieder auch ihren Platz haben, macht es eigentlich mehr Sinn, über ewige, objektive Wahrheiten zu singen, anstatt über das, was diese Wahrheiten in einem Menschen auslösen können.

Fazit: Theologie ist wichtig, und sowohl unser persönliches Leben als auch das Gemeindeleben leidet darunter, wenn die Theologie nicht den Platz bekommt, den Gott für sie vorgesehen hat.

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soulfire DNA – Teil 9: Nach außen gewandt (Teil 2)

Heute geht es darum, die Frage, was der missionale Ansatz konkret in einer Gemeinde bewirkt zu vertiefen. Dazu will ich Tim Keller zu Wort kommen lassen. Hier ein Auszug aus seinem Vortrag „The missional Church“:

 

 

 

Die Elemente einer missionalen Gemeinde

1. Sie spricht die Sprache der Menschen

  • In stark christlich geprägten Kulturen gibt es kaum Unterschiede in der Wortwahl innerhalb oder außerhalb der Gemeinde. (…) Biblische Begriffe sind ‚drinnen wie draußen‘ bekannt. Aber in einer missionalen Gemeinde müssen Begriffe erklärt werden.
  • Die missionale Gemeinde vermeidet ‚kanaanäische‘ Sprache, stilisierte Gebetssprache, unnötigen evangelikalen, frommen Jargon und veraltete Ausdrücke, durch die eine geistliche Atmosphäre geschaffen werden soll.
  • Die missionale Gemeinde vermeidet die „wir/sie-Sprache“, verachtungsvolle Witze, bei denen sich über Menschen mit anderen politischen oder religiösen Ansichten lustig gemacht wird, sowie herablassende und respektlose Kommentare über diejenigen, die sich von uns unterscheiden.
  • Die missionale Gemeinde vermeidet sentimentales, blumiges, inspirierendes Gerede. Statt dessen lässt sie sich mit der freundlichen, bescheidenen aber fröhlichen Ironie, die das Evangelium schafft auf die Kultur ein. Demut + Freude = ‚gospel irony‘ und Realismus.
  • Die missionale Gemeinde vermeidet es, jemals so zu sprechen, als wären keine Nichtchristen gegenwärtig. Wenn du so redest (im Gespräch und vor Menschen), als ob Leute aus jedem Teil deiner Wohngegend anwesend wären (und nicht nur verstreute Christen versammelt sind), werden sich früher oder später immer mehr Menschen aus deiner Umgegend einfinden bzw. eingeladen werden.
  • Wenn all diese gerade aufgelisteten Dinge nicht aus einem Herz fließen, dass wirklich demütig, mutig, und vom Evangelium verändert ist, sind sie nur Marketingstrategien und Manipulationsversuche.

 

2. Sie taucht in die Kultur ein und erzählt deren Geschichten mit dem Evangelium neu.

  • In einer stark christlich geprägten Kultur ist es möglich, bereits ‚christianisierte‘ Menschen zu ermahnen, einfach das zu tun, von dem sie wissen, dass sie es tun sollten – auch wenn man sich kaum oder gar nicht mit den Menschen beschäftigt, ihnen zugehört oder versucht hat, sie zu überzeugen. Es wird eher ermahnt – und dabei häufig über Schuldgefühle gearbeitet. In einer missionalen Gemeinde geht man beim Predigen und Kommunizieren immer davon aus, dass Skeptiker anwesend sind. Deswegen greift man ihre Geschichten auf, anstatt nur von ‚alten Zeiten‘ zu schwärmen.
  • In die Kultur einzutauchen bedeutet, mit der Literatur, Musik, Theater, etc. der Kultur sehr vertraut zu sein und damit zu sympathisieren, weil sie von den Hoffnungen, Träumen, Heldengeschichten und Ängsten erzählen.
  • In der alten Geschichte der Kultur ging es darum, eine gute Person zu sein, ein(e) gute(r) Vater/Mutter/Sohn/Tochter zu sein, ein anständiges, barmherziges, gutes Leben zu führen. In der neuen Geschichte geht es a) darum, frei, selbstbestimmend und authentisch zu sein (Thema: Befreiung von Unterdrückung), und b) darum, die Welt für alle Menschen zu einem sicheren Ort zu machen (Themen: Einbeziehen des ‚Anderen‘ und Gerechtigkeit).
  • Das Neuerzählen dieser Geschichten bedeutet in diesem Fall, dass man aufzeigt, wie wir nur in Christus von der Sklaverei befreit sein und den Anderen ohne Ungerechtigkeit aufnehmen können.

 

3. Sie schult Laien theologisch für öffentliches Leben und Beruf.

  • In einer stark christlich geprägten Kultur kann man es sich leisten, die Leute nur in den Bereichen Bibelstudium, Evangelisation und persönliche Frömmigkeit zu schulen, weil sie im öffentlichen Leben (Arbeit, Nachbarn, usw.) nicht mit grundlegend nichtchristlichen Werten konfrontiert werden. In einer missionalen Gemeinde erhalten die Laien eine theologische Schulung, um für alles eine christliche Sichtweise zu entwickeln und um als Christen in ihrem Beruf aktiv sein zu können. Dabei lernen sie a) welche kulturellen Handlungsweisen in die Kategorie ‚allgemeinen Gnade‘ gehören und deswegen übernommen werden sollten, b) welche Handlungsweisen dem Evangelium entgegenstehen und deswegen abgelehnt werden müssen und c) welche Handlungsweisen überarbeitet und angepasst werden können.
  • In einer missionalen Gemeinde wird das Leben der Laien, die durch ihren christlichen Lebens- und Arbeitsstil die Kultur erneuern und verändern, als gleichwertige ‚Reichsgottesarbeit‘ und geistlicher Dienst anerkannt – auf der gleichen Ebene wie der traditionelle Predigt- oder Lehrdienst.
  • Schlussendlich müssen Christen im öffentlichen Raum im Umgang mit denjenigen, von denen sie sich stark unterscheiden das Evangelium durch echte, biblische Liebe und Toleranz leben. Diese Toleranz sollte mindestens so groß sein wie die, mit der uns Christen von Menschen mit grundlegend anderer Sichtweise begegnet wird. Der Vorwurf der Intoleranz ist vielleicht das bezwingendste Argument gegen das Evangelium in der post-christlichen, westlichen Welt.

 

4. Sie schafft eine christliche Gemeinschaft, die eine überraschende Gegenkultur darstellt.

  • In einer stark christlich geprägten Kultur versteht man unter ‚Gemeinschaft‘ im Grunde genommen einfach eine Reihe von stärkenden Beziehungen, Unterstützung und Fürsorge. Das ist natürlich auch notwendig. Doch in einer missionalen Gemeinde muss eine christliche Gemeinschaft noch weiter gehen, und eine Art Gegenkultur formen, um der Welt zu zeigen, wie grundlegend anders eine christliche Gesellschaft im Bezug auf Sex, Geld und Macht ist.
  • Thema Sex: Wir vermeiden sowohl die Vergötterung von Sex, wie man sie in den säkularen Teilen der Gesellschaft vorfinden, als auch die Furcht vor diesem Thema, wie sie in den traditionellen Teilen der Gesellschaft vorkommt. Außerdem reagieren wir auf die Menschen, deren sexuelle Lebensgestaltung anders aussieht mit Liebe statt mit Feindschaft oder Angst.
  • Thema Geld: Wir werben für radikal großzügigen Einsatz in den Bereichen Zeit, Geld, Beziehungen und Lebensraum für soziale Gerechtigkeit und die Bedürfnisse der Armen, der Immigranten und der finanziell und körperlich Schwachen.
  • Thema Macht: Wir setzen uns für Machtteilung und Beziehungsbau zwischen Rassen und Klassen die überhaupt nicht zum Leib Christi gehören.
  • In einfachen Worten: eine Gemeinde muss sich noch intensiver und konkreter in den Bereichen Barmherzigkeit und soziale Gerechtigkeit engagiert sein als die traditionellen liberalen Kirchen und noch intensiver und konkreter in den Bereichen Evangelisation und Bekehrung aktiv sein als die traditionelle konservativen Gemeinden. Diese Gemeinde soll (…) in keine Schublade passen. Sie nimmt dem Außenstehenden die Möglichkeit, sie als liberal oder konservativ zu kategorisieren (und abzustempeln). Nur diese Art von Gemeinde hat in der post-christlichen westlichen Welt überhaupt eine Chance.

 

5. Sie praktiziert in der Öffentlichkeit so viel wie Möglich christliche Einheit.

  • In einer stark christlich geprägten Kultur, wo ‚jeder ein Christ war‘, war es vielleicht notwendig, dass sich eine Gemeinde darüber definierte, dass sie sich von anderen Gemeinden abgrenzte. Um also eine Identität zu entwickeln, musste man sagen „Wir sind nicht so wie diese andere Gemeinde/Kirche bzw. diese anderen Christen dort!“.
  • Heutzutage ist es jedoch viel aufschluss- und hilfreicher, wenn eine Gemeinde sich im Kontrast zu ‚der Welt‘ definiert, also den Werten einer nichtchristlichen Kultur. Es ist unglaublich wichtig, dass wir nicht unsere Zeit damit verschwenden, andere Gemeinden und Kirchen zu kritisieren und niederzumachen. Tun wir das, spielen wir denjenigen in die Arme, die das Christentum als intolerant ablehnen.
  • Während wir uns vor Ort hinter die Konfessionen stellen, die viele unserer Unterscheidungsmerkmale teilen, müssen wir uns gleichzeitig auch zu anderen Gemeinden und Kirchen ausstrecken und sie unterstützen. Natürlich werden dabei auch heikle Fragen aufkommen, aber wir sollten die Zusammenarbeit als gemeinsames Ziel verfolgen.